Das neue Jahr beginnt für Dritte Generation Ost mit intensiver Arbeitsklausur zu OPER OTZE AXT in Stralsund. Drei der acht stammen von dort, die Mutter der beiden Gawendas gibt ihre Wohnung frei, eine Woche lang wird sie zur NOperas!-WG.
Eine Woche wird hart geklotzt. Es herrscht ein rigoros durchgetakteter Tagesplan. Morgens teilt sich das Team in jeweils kleinere Gruppen auf, um getrennt einzelne Felder – Libretto, Bühne, Musik – zu bearbeiten und diese abends im Plenum wieder zusammenzuführen. Auch zusätzliche Förderinstitutionen neben dem feXm werden recherchiert, dem Plan nach soll sich das Projekt auch nach Abschluss seiner drei NOperas!-Phasen weiter entwickeln und zu zusätzlichen Aufführungen, vor allem im Osten, finden können.
In den letzten zwei Arbeitstagen stoße ich als Dramaturg des feXm dazu. Draußen schneidene Kälte und strahlend blauer Himmel, in der Gawenda-Wohnung überfüllte Aschenbecher und dichte Tabaksschwaden.
Einiges an grundsätzlichen Gedanken ist in diesen Tagen entstanden.
In groben Zügen nur soll sich OPER OTZE AXT an der realen Lebensgeschichte des Dieter »Otze« Ehrlich orientieren. Es soll von seiner Geschichte inspiriert bleiben. Es soll von Ehrlichs Geschichte inspiriert bleiben, ohne sie im Detail nachzuerzählen und Anspruch auf historische Wahrheit zu erheben. Keinesfalls soll es in die Spuren wohlfeiler Personality-Musicals à la Lindenberg, Bowie oder Abba geraten.
Grundsätzliche Stadien: Otze als Nonkonformist, sein Aufbegehren, sein Konflikt mit der Staatsmacht und sein heimlicher Pakt mit ihr, als er Zuträger der Stasi wird. Otze dann im vereinten bundesrepublikanischen Deutschland: er gleitet in Drogen ab, er erschlägt seinen Vater.
Irgendwo verborgen in dieser Geschichte: Fragen zum Verhältnis von DDR und neuem Gesamtdeutschland. Zu den sogenannten »Wende«-Jahren, zur Punkbewegung in Ost und West. Und Fragen natürlich zu Begriff und Idee von Freiheit. »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« sangen in dieser Zeit Ton, Steine, Scherben. »Mach dich doch selbst kaputt!« heißt dagegen ein Titel von Dieter Ehrlich.
Obwohl DDO zu gleichen Teilen männlich und weiblich besetzt sind, ist in diesen zwei Tagen allein von männlichen Lebenswelten die Rede. Von harten Jungs, die sich heroisch prügeln und besaufen, konspirativ irgendwo ihre Verstärker hinbauen, um ihren Frust rauszubrüllen in die abgeschlossene Eigenwelt der Punk-Community.
Drei Protagonisten schälen sich heraus: Otze, dessen Vater und das Kollektiv einer vielgesichtigen und deshalb umso gesichtsloseren konformistischen Außenwelt – als Charaktermasken und Stimmführer des Systems »Deutschland« (erst Ost, dann Ost-West) können einzelne Figuren aus ihr hervortreten, nur um sogleich dann wieder in sie zurückzufallen. Frauen jedenfalls scheinen in der Welt Otzes keine bestimmende Rolle zu spielen. Um Ödipus zu sein, fehlt Otze bislang die Iokaste.
Wie geht ein Musiktheater, das sich auf Punk bezieht, mit klassisch geschulten Opernstimmen, mit den Instrumenten eines klassischen Orchesters zusammen?
Schlüsselfigur soll die des Vaters sein, gedacht als immer wieder präsente, immer dabei aber stumme Person. Abwesenheit von Klang umgibt ihn. Stille ist ja im Moment der Generalpause eines der überhaupt stärksten musikalischen Ausdrucksmittel. Aufbegehren durch Noise und Geräuschklang charakterisiert dagegen den Sohn. Während er vergeblich um Austausch mit dem Vater schreit, herrscht bei beiden auf jeweils eigene Art Sprachlosigkeit. Zitathaft parodistisch gegen sie beide gesetzt dann das Idiom der Oper als das eines west-östlichen Kleinbürgertums, gefangen in musikalischen Klischees.
Vor allem diese musikalische Dramaturgie ist es, die der Otze-Parabel bislang eine genauere Deutung abgewinnt. Ein Stück mithin auch über die Sprachlosigkeit einer gesamtdeutschen Gesellschaft. Ein Stück auch über die veränderte Fortführung des Elternkonflikts der 68-er in die 80er-Jahre hinein.
War die Revolte der 60-er Jahre so optimistisch im Glauben an die Möglichkeit eines besseren Lebens wie sie gleichzeitig sprach- und theorieübersättigt war, so blieb nach dem Absturz all dieser Hoffnung, nach Ende des Prager Frühlings im Osten, RAF und Roten Brigaden im Westen in der späteren Honecker-Ära, die gleichzeitig die Ära von Kohl, Reagan und Thatcher war, nur noch das sprach- und theorielose Gefühl eines letzten Tanzes auf der Titanic. In der »zeitgenössischen Musik« zerfallen in dieser Zeit alle verbindlichen Systeme. Der Pop ergeht sich in düster klagenden Gesängen. Punk schreit auf gegen die Welt, ohne eine bessere zeigen zu können oder dies auch nur zu wollen. Erst die Gorbi-Rufe beenden das allgemeine No-Future-Gefühl. Aber in Kohls blühenden Landschaften blüht heute vor allem die AfD.