Vielfach versteht sich Theater heute als autonome, nicht in erster Linie der Werkinterpretation unterworfene Kunst. Auch der Musiktheaterarbeit geht oft keine fertige Noten- oder Textvorlage voraus. Theaterproben beginnen ergebnisoffen, dienen dem Prozess einer gemeinsamen Entwicklung von musikalischem, textlichem und szenischem Material, das erst im Verlauf seine endgültige Gestalt erhält. Um entsprechendes prozessorientiertes Arbeiten zu unterstützen, bietet der feXm seinen Projektteams die Option einer Aufteilung ihrer Arbeit in verschiedene Probenphasen. Jedes Team wählt dabei eigene Wege.
War das in diesem Jahr nun eigentlich illegal? (© Roland Quitt)
Corona, soviel erscheint klar, wird uns noch länger in Atem halten. Mit unsicheren Schritten tappt auch der feXm dabei voran ins Jahr Einundzwanzig.
Nachdem auf fast jede erzwungene Verschiebung bislang eine weitere gefolgt ist, fahren fast alle Bühnen nur noch auf Sicht und planen kaum weiter als für die kommenden Tage.
NOperas! muss damit leben – im Januar sollte es eigentlich hochhergehen, Hauen & Stechen und Oblivia wären in Wuppertal aufeinander getroffen. Verschoben aber nun Endproben der einen und erste Workshops der anderen.
Wie wird das Musiktheater aussehen, wenn wir wann auch immer dann wieder Land sehen? Um das Publikum seiner neuen Fixierung auf Netflix zu entwöhnen, wird es Traviatas und Zauberflöten rauf und runter wohl geben. Noch immer trotzdem auch ein paar mutige Experimente?
Das Jahr 2020 hat das Musiktheater auf unvorhergesehene Wege geführt. Viele mündeten im Digitalen, darunter auch die von »Chaosmos«. Nach seiner Premiere auf Nachtkritik ist »Chaosmos – der Film« immer noch hier auf unserer Webseite zu finden. Aufgeteilt auf eine Reihe einzelner Clips, beinhaltet diese filmische Version für jede*n die Möglichkeit, sich eine eigene Fassung zusammenzustellen. Sie ist damit nur eins der vielen derzeitigen Beispiele dafür, wie das Prinzip des Interaktiven, das aus digitalen Medien in den letzten Jahren zunehmend ins Theater eingeflossen ist, nun von Theatermacher*innen gestaltet auf neuen Wegen ins Digitale zurückkehrt.
Ist es die Not geschlossener Spielstätten, die Theatermacher*innen im vergangenen Jahr in den digitalen Raum geführt hat, so plädiert Christian Esch in einem lesenswerten Artikel dafür, dies nicht allein als erzwungenen Rückzug, sondern mit auch als Chance eines neuen Theaters zu begreifen. Büßt das Theater mit dem Verzicht auf leibliche Kopräsenz von Performer*in und Publikum aber nicht genau das ein, was immer seine Besonderheit unter den Künsten ausgemacht hat, den seltsamen Doppelcharakter eines beständig zwischen Illusion und materiell beglaubigter Realität schimmernden Vexierbildes? Es ist eine Art Twist of Mind, in den Performer und Performerin uns auf der Bühne versetzen, und diesen erzeugen sie nur auf der Bühne. Selbst wo der digitale Raum in Realtime funktioniert, die seltsame Doppelrealität des Theaters kann er niemals generieren, weil ihm der materielle Widerpart fehlt, der seine Illusion erdet und konterkariert, um in ein Spiel mit der Infragestellung festgefügter Realitätsauffassungen zu führen. Das »Jetzt« lässt sich vom »Hier« ohne Verlust also nicht absondern. Diese Doppelrealität ist es auch, aus der sich das besondere utopische Potential der Theaterkunst ergibt – ein Ineins und gleichzeitig eine Spannung und Diskrepanz unserer beglaubigten und möglichen weiteren Welten.
Zauberflöte und Traviata dabei hin oder her, es steht zu erwarten, dass auch das Publikum das alles immer noch erfühlt, und dass es uns also zuletzt folgen wird (eher zu unrecht macht sich mancher hierüber Sorgen) bei der Rückkehr in die Spielstätten. Dass die digitale Erfahrung das Theater aber verändert haben wird, daran kann kaum Zweifel bestehen. Kaum wird dies eine Rückkehr sein zum Status Quo ante.
Helsinki, Stuttgart, Essen: Christmas-Obsessions
Im Musiktheater ist man es auch bei zeitgenössischen Produktionen noch immer gewohnt, dass Proben allein der Einstudierung dienen. NOperas! aber sieht vor, dass probiert wird, bevor eine fertigentwickelte Vorlage besteht, und dass ein Theaterprojekt (eher um Projekte als um „Stücke“ geht es) selbst erst im Probenprozess Gestalt annimmt.
Eingeräumt ist den Produktionsteams deshalb nicht nur längere Probenzeit als sonst üblich, sondern auch die Möglichkeit, deren Dauer auf getrennte Zeiträume zu verteilen. Nicht alle Teams machen von diesen Optionen Gebrauch – für Oblivia bleiben sie substanziell.
An jedem der beteiligten Häuser sind vor dem eigentlichen Probenzeitraum zunächst zwei getrennte Workshop-Phasen geplant. Eine erste war für den Januar terminiert. Wann sie nun stattfinden wird, steht pandemiebedingt in den Sternen.
Hinzu kommen Probierphasen, die alleine von den Performer*innen der Gruppe bestritten werden. Sie beruhen auf eigenen Improvisationstechniken der Gruppe, durch die das szenische Material entwickelt wird.
Oblivia haben mit dieser Arbeit begonnen. Sie sollte in Oblivias Probenzentrum in Helskini stattfinden. Alice Flerl, deutsches Mitglied der Gruppe, und Yiran Zhao, die ebenfalls in Deutschland lebt, sollten hierzu anreisen. Natürlich konnten sie nicht.
Man improvisiert zusammen jetzt digital – die Finnen in ihrem Studio, die anderen dazugeschaltet via Internet. Wie man Besprechungen über Internetplattformen organisiert, mussten wir alle inzwischen lernen. Aber Impro-Sessions? „I must admit, it’s not easy”, sagt Annika Tudeer.
Die Weihnachtslaune scheint das Oblivia nicht verdorben zu haben.
Spielort für Kitesh? – 15.12: Hauen & Stechen auf dem Dach des Wuppertaler Opernhauses. (© Franziska Kronfoth)
Bereits bei den Kitesh-Aufführungen in Halle hatten Publikum und Performer*innen mit kalten Füßen zu kämpfen. Eine Einspringerin musste gefunden werden, nachdem eine der Sängerinnen sich bei der Generalprobe schwer erkältete. Sowas ist Alltag im Repertoirebetrieb, immer noch Alptraum aber jeder Uraufführung.
Kalte Füße bekam das Team dann auch, was die für die kälteste Jahreszeit geplante Weiterführung in Wuppertal betraf. Alles wurde mit Blick auf den Januar neu durchdacht. Der Beschluss wurde gefasst, die bisherigen Außenszenen in die Innenräume des Wuppertaler Opernhauses zu verlegen. Die theatrale Durchdringung und Umwertung des Stadtraums – mit eines der stärksten Elemente in Halle – schien ein notwendiges Opfer.
Corona legte dann zusätzliche Hürden. Hygiene-Beschränkungen ließen einen der Innenbereiche nach dem anderen ausfallen. Zu wenige blieben als bespielbar erhalten. Bevor es zu schlimmeren Kompromissen dann aber kam, wischte Corona – Ironie der Pandemie – dann auch den Januar-Termin vom Tisch. Kann, wie überhaupt alles im Theater, auch dieser Zeitraum derzeit noch nicht als endgültig bestätigt gelten, geht doch auf Juni inzwischen die Planung.
Erneut war also umzudenken. Kalte Füße im Juni? Der Stadtraum steht doch also wieder zur Verfügung!
Er ist ein anderer als in Halle und er braucht neue Ideen.
Viele entstanden am 15. Dezember bei der endlich zustandegekommenen genaueren Erforschung des Geländes.
Hat je ein Theaterprojekt so viele erzwungene Konzeptänderungen erlebt?
Nur bei der Generalprobe, von der dies Foto stammt, regnete es noch. Die akrobatische Szene im Kreisverkehr ist Teil der Halleschen »Kitesh«-Version, in Wuppertal und Bremen wird es sie nicht geben. Im Wagen Martin Gehrke, auf der Insel Gina-Lisa Maywald. (© Falk Wenzel)
Jede NOperas!-Produktion stellt die beteiligten Opernhäuser vor ungewohnte Herausforderungen. Dass »Kitesh« da kaum zurückstehen würde, war von Anfang an klar, nicht aber, dass Corona hinzutreten und alles an die Grenze des Machbaren führen würde. Nach anstrengendem Hürdenlauf war’s vergangenen Sonntag doch nun soweit, »Kitesh« hatte Premiere in Halle.
Zwei Aufführungen wurden an diesem Premierentag gespielt. Nur fünfundsiebzig Personen waren als Publikum dabei jeweils zugelassen, dem rauschenden Schlussapplaus war das nicht anzuhören. Nicht nur Hauen und Stechen hat auf letzter Strecke der Vorbereitung Übermenschliches geleistet, auch – mit sämtlichen ihrer Abteilungen – die Oper Halle!
Nach dem Sparprogramm des digitalen Raums, in den sich das Theater in den letzten Monaten zurückgezogen hat, nach all den 19-Zoll-Formaten, in denen es sich seitdem abspielte, erlebt man »Kitesh« als ein zirzensisches Spektakel, das das Publikum heinreißt in die lang nicht mehr erlebte Welt eines überbordenen Totaltheaters und damit als geradezu trotzigen Akt eines Bestehens auf einer Sphäre des Sinnlichen und Unmittelbaren.
Mit dem Verschwinden der unsichtbaren Stadt Kitesh sieht die nmz (Neue Musikzeitung) gleichzeitig »ein Happening über das Verschwinden der Oper zelebriert. Nicht nur des konkreten Werkes vom Anfang des vorigen Jahrhunderts, sondern gleich des ganzen Genres.« Und sie fährt fort: »Was [Hauen und Stechen] an Theaterurgewalt zu entfesseln versuchen, kommt der Kunstwerk-der-Zukunft-Ästhetik nahe, die an der Oper Halle den Diskurs über die Möglichkeiten und Grenzen des Musiktheaters […] kontrovers belebte. Aber diese […] Reihe blieb mit ihren Teilen immer in der ihr angemessenen kleinen Form.«
Nun ist wenigstens Richard Wagner, von dem der Begriff »Kunstwerk der Zukunft« stammt, nicht gerade für seine Bevorzung kleiner Formen bekannt. Stattdessen, so meinte er, ginge es darum, die »Gränzen [sic] zum weitesten Umfang sich ausgedehnt zu denken« (Wagner KdZ, Leipzig 1850, S.33). Man müsse hierzu, »zunächst das Wesen der Kunstarten prüfen, die heute in ihrer Zersplitterung das allgemeine Kunstwesen der Gegenwart ausmachen«, um sie dann zu einem »großen, allgemeinsamen Kunstwerk« zusammenzufassen [Wagner, S.36].
Leicht läßt sich argumentieren, dass das Musiktheater es als Kunstform seit je (und nicht also erst mit Wagner) darauf angelegt hat, sämtliche zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Einzelkünste in sich zu integrieren. Zu überlegen also, ob es an diesem Abend in Halle möglicherweise doch weniger um ein »Verschwinden der Oper« als um eine neue Belebung ihres innersten Ideengehalts ging.
Hier ist der Link zum Artikel der nmz: www.nmz.de/online/todesvogel-und-blubblub-kitesh-an-der-oper-halle
Glücklich konnte sich schätzen, wer in Gummistiefeln kam (© Roland Quitt)
Nicht Poncho noch Schirm konnte zuletzt noch schützen. Ins Wasser gefallen ist die Hauptprobe von »Kitesh« nicht, ziemlich viel Wasser ist aber bei eisiger Temperatur auf sie herabgefallen, bevor der Parcour rund ums Opernhaus ins Trockene dann führte. Nur einhundertundfünf Minuten darf die Aufführung dank Corona dauern. Um circa dreißig Minuten war sie am Ende immer noch zu lang. Kill your darlings! Ein paar schöne Szenen werden das Licht des Theaters nie erblicken. Nur das Versuchspublikum der Hauptprobe wird sich an sie erinnern dürfen, nasse Füße waren dafür kein zu hoher Preis.
Im Bühnenturm der Oper Wuppertal: Yiran Zhao (Komponistin), Alice Flerl und Annika Tudeer (Oblivia), Mario Engelmann (Technischer Direktor) – © Roland Quitt
»Operation Warp Speed« (Captain Kirk läßt grüßen) heißt seit gestern in den USA die Losung. Auf Teufel komm raus möchte Trump sein Land noch vor der Wahl mit einer Vakzine beglücken. Eine Spur schneller sogar noch zu sein, verspricht Putin, eher im Feld von Giftstoffen gelten seine Labore aber als hinreichend verlässlich.
An den Theatern ist man zurück aus der Sommerpause, zurück damit auch in der Corona-Misere. Gerade weil sich die Situation inzwischen wenig verändert hat, ist sie nicht mehr die gleiche wie vorher. Je länger der Virus uns in Atem hält, desto mehr verändert sich der Blick auf ihn. Und wie man durch Wurmlöcher noch immer nicht reisen kann, sieht es bei alldem nicht aus, als wären wir bald zurück in gesicherteren oder überschaubarer gewordenen Verhältnissen.
Auch im Theater zehrt das inzwischen an den Nerven. Zwischenlösungen reichen nicht mehr aus, wenn die Ausnahme zur Regel geworden ist. Mit seinen notorisch schwerfälligen Strukturen steht vor allem der Musiktheaterbetrieb wie gelähmt vor der Frage, wohin er sich orientieren und wie er planen soll.
Auf diesem unsicherem Terrain tastet sich auch NOperas! voran. Das Wort »Experiment«, das der feXm im Namen trägt, hat ungewollt dabei eine zweite Bedeutung bekommen. Nach »Hauen und Stechen« geht mit Yiran Zhao und der Gruppe »Oblivia« in dieser Spielzeit das zweite vor allem von Frauen bestimmte Team an den Start – über Genderbenachteiligung könnten sich beim feXm höchstens Männer zur Zeit beklagen.
»Obessions« soll, noch ist es länger hin, erste Aufführungen in Bremen haben, das erste Arbeitstreffen führte vergangene Woche trotzdem zunächst nach Wuppertal. Es zu organisieren, war eine Geduldsprobe, ständig gab es weitere Streichungen von Flügen aus Helsinki. Mit weniger Abmachungen in der Tasche als sonst ging man anschließend nach Haus. Die prinzipielle Unsicherheit, unter was für Bedingungen man in einem Jahr Theater spielen wird, hält die Spielplan-Disposition Wuppertals im Schwebezustand. Immerhin, die jüngste Premiere einer »Zauberflöte«, der (abgesehen vom restringierten Kartenverkauf) Corona-Kompromisse weder anzusehen noch anzuhören waren, gibt dort gerade emotionalen Auftrieb: Endlich spürt man wieder einmal Theaterboden unter den Füßen.
Zugleich mit Corona hat man derweil in Halle mit weiteren Erschwernissen zu kämpfen. Nach dem internen Zwist zwischen Intendant und kaufmännischem Leiter sind beide nicht mehr am Haus, kommissarisch wird dieses geführt von Produktionsleiter Maximilian Grafe. »Kitesh« – in seiner umgearbeiteten sogenannten »Corona-Version« – ist nur bedingt von dem allem betroffen und bewegt sich rasch den Endproben entgegen. Der Kartenverkauf für die drei Zweifachvorstellungen im Oktober ist extrem beschränkt. Wer nicht auf die Weiterentwicklungen in Wuppertal und Bremen warten will, sollte schnell jetzt schalten.
Zwei Produktionen sollen im NOperas!-Rahmen parallel immer in Arbeit sein, eine im Stadium der Vorplanung, eine zweite im Stadium von Proben und Aufführungen. Bereits im Sommer wäre nach solcher Planung »Chaosmos« abgeschlossen gewesen. Nachdem Corona aber im Frühjahr zum Abbruch der Proben in Halle führte, Proben in Bremen erst gar nicht beginnen konnten, wird auch an dieser Produktion noch immer gearbeitet. Drei also sind es, mit denen NOperas! gerade jongliert. Wie manches andere Theaterprojekt der vergangenen Saison sattelte auch »Chaosmos« von der Bühne ins Digitale um. Das Material befindet sich in den letzten Schritten der Postproduktion. Noch steht die finale Entscheidung aus, ob es als zusammenhängender Film oder als Sammlung einzelner Clips präsentiert werden wird.
Konzeptionsprobe »Kitesh«, aufgrund der Abstandsregeln im Hallenser Operncafé. Sämtliche Gewerke des Hauses sind erschienen. Sänger*innen der Oper Halle begegnen zum ersten Mal denen von »Hauen und Stechen«. An der Pinnwand: Bühnen- und Kostümbildnerin Christina Schmitt. (© Roland Quitt)
Schon jetzt ist auszumachen, wie sehr Corona das Formenspektrum des Theaters verändern wird.
Aufgrund der Hygienebestimmungen musste »Kitesh« nun komplett neu durchdacht und in wesentlichen Punkten neu konzipiert werden. Nur 75 Zuschauer*innen werden pro Vorstellung erlaubt sein. Statt der ursprünglich geplanten dreistündigen Aufführung wird es an jedem Abend nun zwei Vorstellungen à 1 ½ Stunden geben, so dass wenigstens 150 Personen erreicht werden. Gemeinsam sollte das Publikum durch einen Parcour mehrerer Außenstätten geführt werden, auch das wird aufgrund von Abstandsregeln aber nicht möglich sein. Drei Besuchergruppen werden nun getrennt in jeweils unterschiedlicher Reihenfolge diese Außenstätten durchlaufen. Logische Folgerung: Anstatt nacheinander müssen diese Stätten nun gleichzeitig bespielt werden, wodurch sich der Personalaufwand erheblich erhöht. Mehr Sänger*innen, mehr Musiker*innen, mehr Betreuungspersonal auch wird bei all dem gebraucht sein. Die beteiligten Theater haben diesem zusätzlichen Aufwand zugestimmt. Was sie nicht selbst abfedern können, wird aufgefangen durch den feXm. Kunststiftung und KULTURsekretariat mobilisierten die notwendigen Mittel und erhöhten die Fördersumme um 20.000 Euro. Tatsächlich kommt es ab 6. Juli so zur geplanten Woche an Vorproben, die auch aufgrund sich wöchentlich ändernder Hygieneregelungen vor kurzem noch in Frage gestellt war.
Neues Team: Theatergruppe Oblivia (Foto) gemeinsam mit der Komponistin Yiran Zhao (© Saara Autere)
Fünf Bewerber wurden von der feXm-Jury als Finalisten für die dritte Spielzeit des NOperas!-Programms ausgewählt. Am 23. Juni stellen sie sich einem vertiefenden Gespräch mit den Juror*innen im neuen Domizil des NRW KULTURsekretariats. Für die meisten, die hierfür nach Wuppertal kamen, ist es die erste Reise nach längerer Zeit. Jedes Team hatte Gelegenheit, sich vorher mit den beteiligten Bühnen rückzuschließen, um sein Konzept gegebenenfalls weiter zu präzisieren. Bis zum Abend findet die Jury zu keinem eindeutigen Beschluss, ein zusätzliches Treffen (via Internet) für die kommende Woche muss vereinbart werden. Dort dann fällt die Entscheidung. Das Förderprojekt der Spielzeit 21/22 trägt den Name »Obsessions«, das geförderte Team ist das Theaterkollektiv Oblivia gemeinsam mit der Komponistin Yiran Zhao.
Oblivia wurde 2000 in Helsinki gegründet. Europaweit hat sich die Gruppe einen Namen gemacht mit Aufführungen, die sich mit minimalsten Theatermitteln großen Themen stellen. Yiran Zhao kommt aus China, sie hat u.a. bei Carola Bauckholt und Caspar Johannes Walter studiert. Ihre musikalische Arbeit bezieht neben Performativem vielfach auch visuelle Medien mit ein.
Im Rahmen einer ersten gemeinsamen Arbeit mit Yiran Zhao wagten sich Oblivia im vergangenen Februar zum ersten Mal ins Terrain des Musiktheaters vor. »Obsessions« setzt diese Kollaboration fort, bezieht neben den Mitgliedern der Gruppe nun aber auch die Ensembles zweier Stadttheater mit ein. An beiden Bühnen wollen Oblivia mit jeweils anderen Mitteln arbeiten, zwei getrennte Varianten eines theatralen Rundumschlags zum Motiv des Verlusts rationaler Kontrolle sollen so entstehen. Wie sehr das Thema »Obsessions« ins Gesellschaftliche spielt, liegt auf der Hand. Als ein Leitmotiv durchzieht es aber auch die Geschichte des Musiktheaters: Es bildet die Grundlage der Opera Seria, setzt sich fort in der Romantischen Oper und zieht sich – mit »Salomé« und »Lulu« – bis in die Phase der letzten klassischen Opernwerke.
Was gibt es nur immer nur meckern an der »Grundsicherung«? Wird sich die Soloselbständige eher fürs gelbe oder fürs blaue entscheiden? Neun Milliarden ( 9 x 1.000 x 1.000.000) hat der Staat heute der Deutschen Lufthansa zur Verfügung gestellt! (© Wiki Commons)
Student*innen der Theaterwissenschaft werden sich irgendwann damit beschäftigen, wie wir (und damit ist natürlich nicht nur der feXm gemeint) das Theater durch diese seltsame Zeit zu schaukeln versucht haben. Absehen wird man dann können, welche Spuren und Veränderungen sie in ihm hinterließ, auf welche Weise es sich veränderte und möglicherweise erneuerte, welche seiner früheren Wege und Methoden anschließend ausgemustert blieben. Wissen wird man, was von ihm blieb, wieviel von ihm blieb, wer von ihm blieb.
Marc Sinan hat es schon letzte Woche auf Facebook gespostet: »Leider ist traurige Gewissheit, dass auch ›Chaosmos‹ diese Spielzeit am Theater Bremen Corona-bedingt nicht mehr stattfinden kann.« »Coronabedingt« – abzusehen schon jetzt, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache diesen Ausdruck coronabedingt zu ihrem »Wort des Jahres« erklären wird.
Für »Chaosmos« bedeutet das aber nicht ein vorzeitiges Aus. Wer teilnimmt am NOperas!-Programm ist darauf eingestellt, einen jeweils erreichten Projektstand kontinuierlich als Ausgangspunkt einer Weiterentwicklung zu verstehen. Notgedrungen führt diese Weiterentwicklung auch »Chaosmos« jetzt ins Digitale. Ein Glücksfall dabei bleibt: Anders als die vielen, die sich in diesem Feld nun erst ihre Sporen verdienen müssen, ist dieses Team hier ohnehin so zuhaus wie auf der Theaterbühne.
Gedanken wurden gewälzt und Methoden erkundet seit Januar, auf welchem Weg ein Theaterpublikum noch stärker zum Mitwirkenden des Bühnengeschehen werden könnte. Zwar war all das nun definitiv für die Katz. Interaktiv soll in Orientierung an der ursprünglichen Grundidee nun aber auch das digitale Produkt werden. Auch hält der feXm bislang daran fest, dass das Theater, wo es nicht sein muss, nicht komplett der Homeshow am PC geopfert wird, sprich, dass es auf Basis gefilmten Materials in Bremen und Halle nach wie vor zu Formen einer Aufführung kommen kann, an der Sänger*innen beteiligt sind.
Den Willen, sich coronabedingt nicht unterzukriegen zu lassen, bezeugen die Clips, die Konrad Kästner interimistisch in Social Media und (unter dem Menüpunkt »Medien«) auf der NOperas!-Webpage postet. Sein letzter, aufgenommen im leeren Hallenser Opernhaus, ist ihm allerdings ziemlich gespenstisch geraten, er wirkt ein wenig wie ein Remake von Spielbergs »Close Enconunters of the Third Kind«.
Kaum sind auf ähnliche Weise auch die Weichen für »Kitesh« nun schon gestellt. Obwohl jedes Bundesland derzeit andere Regeln verfolgt, deutet im Moment wenigstens alles daraufhin, dass alle Theater im Oktober wieder spielen können. Aber was werden die Auflagen sein? Bei der feXm-Jury setzte sich »Kitesh« mit der Idee durch, das Publikum nacheinander durch unterschiedliche Stationen eines gemeinsamen Parcours zu führen. Entsprechend einer angepassten Idee nun könnten diese Stationen simultan bespielt, Besucher*innen in jeweils kleinen Gruppen auf sie aufgeteilt werden. Ist einerseits aber davon auszugehen, dass auch bei solche Anpassung nichts vorbeiführt an einer erheblichen Beschränkung der Gesamtzahl an Zuschauer*innen, so erhöht sich andererseits, da ja jetzt überall zugleich gespielt werden muss, erheblich der Aufwand an Mitwirkenden. Das bleibt ein noch ungelöstes Problem für die beteiligten Häuser und für das von der Gruppe verwaltete Budget.
Nicht Masketragen und Händewaschen allein hält uns grade am Leben. Zur notwendigen Psychohygiene gehört es, nicht manisch allein über die Rettung von Gefährdetem nachzudenken, sondern allem zum Trotz den Mut aufzubringen, Neues zu planen. Via Internet-Konferenz unternahm die Jury des feXm vergangenen Montag erste Weichenstellungen für 2021. NOPeras! wird dann in seine dritte Runde gehen.
Endlich waren bei dieser Ausschreibung nun auch sämtliche Website-Informationen in englischer Sprache verfügbar. Deutlich ist ein Anstieg von Bewerbungen aus dem europäischen Ausland erkennbar. Erstmals wurde die Ausschreibung in diesem Jahr auch weitläufig in Kreise migrantischer und postmigrantischer Kulturvereine gestreut. Kaum erkennt man bei Durchsicht der Bewerbungen aber einen Effekt. Ist die Idee eines Musiktheaters, das sich, so die Formulierung der Ausschreibung, »im Feld eines performativen Theaterverständnisses einer Befragung des Verhältnisses von musikalischem Klang zu Raum, Sprache, Theateraktion und digitalen Medien« stellt, in ihrer Reichweite doch möglicherweise auf bestimmte Kreise beschränkt?
Dreiunddreißig Teams haben sich beworben. Erneut fiel es enorm schwer, ihre Anträge herunter zu brechen auf zunächst fünf Finalisten, die zu einem vertiefenden Gespräch eingeladen werden sollen. Das Musiktheater als zeitgenössische und weit über die Oper hinausführende Kunstform ist, wie die Bewerbungen zeigen, voll neuer und quicklebendiger Impulse. Zur Förderung, die es eigentlich bräuchte und verdiente, reicht der feXm alleine kaum aus.
Am Aschermittwoch war alles vorbei früher. (© Unbekannter venezianischer Meister, 18. Jh.)
Auslage einer Hallenser Apotheke zwischen Markplatz und Opernhaus: Köpfe zwölf hübscher Schaufensterpuppen präsentieren Modelle hier erhältlicher Masken. Je nach Lifestyle-Konzept und Depressionszustand bleibt die Wahl zwischen fröhlichen Farben, die die Jahreszeit, und gedeckten, die derzeitiges Lebensgefühl widerspiegeln. Noch trägt keine das Siegel Dior oder Hugo Boss.
Eine lachende und eine weinende Maske halten als Sinnbild der dramatischen Künste her. Verkehrte Welt – nicht auf der Bühne sondern im Zuschauerraum wird die Maske ihre Theaterrenaissance nun erleben.
Ist das Florian Lutz dort in einiger Entfernung? Bestimmungsgemäß – alles sieht ein wenig aus wie bei einer schlecht verkauften Vorstellung – sitzen die Beteiligten der »Kitesh«-Bauprobe verteilt über den halbdunklen Zuschauerraum, nur die Haartrachten über den Masken lassen erahnen, wer welcher ist. Namen werden in den Raum gerufen, Arme recken sich zur Erkennung. Walkie-Talkie des technischen Direktors aus dem Parkett beim Testen des Blickwinkels vom zweiten Rang: »Wie viele seid ihr dort oben?« – »Fünfzehn!« – »Einer bitte nach unten, ihr anderen verteilt euch!«
Allem ist noch immer so sehr der Boden entzogen, dass man sich schwer noch an die Situation von vorgestern erinnert, alle Planung für morgen ins Blaue führt. Um in direkte Interaktion mit dem Publikum treten zu können, rang das »Hauen und Stechen«-Team gerade mit Bremen und Halle noch um eine Beschränkung der Zuschauerzahl – beide Häuser (siehe Blogeintrag vom 06.04.) hielten fest an der Zahl von zweihundert Personen. Aufgrund der Abstandsbestimmungen rechnet jetzt keiner mehr damit, dass mehr als hundert erlaubt sein werden. Kaum hat sich das Problem für »Kitesh« hierdurch aber gelöst: Theater, das auf Nähe zum Publikum setzt, wird auf absehbare Zeit unmöglich bleiben. Zu sehr drängte der Abgabetermin, als dass »Hauen und Stechen« schon auf die neue Theatersituation hätten reagieren können. Notgedrungen bleibt die Bauprobe an diesem Tag deshalb noch ausgerichtet an einem Aufführungskonzept, das seine Rechnung ohne Corona macht. Ein Skype-Termin in der kommenden Woche wird sich dann mit Wegen seiner Anpassung beschäftigen.