Auf einer Bauprobe wird der Entwurf eines Bühnenbilds geprüft, bevor er in den Werkstätten dann in Fertigung geht. Neben technischen Lösungen geht es auch um Raumwirkung und Sichtlinien. Bauteile werden mit improvisierten Mitteln angedeutet. Ort ist normalerweise die Bühne, auf der das betreffende Stück dann später zur Aufführung kommt.
Bauproben im Rahmen von »NOperas!« sind ein besonderer Fall. Sie finden am erstproduzierenden Haus statt. Der Entwurf muss variabel genug sein, um den räumlichen Verhältnissen aller Theater angepasst werden zu können. Zur Orientierung reisen auch Abteilungen der anderen Häuser mit an. Falls nicht zu viele Probleme auftreten, herrscht die gehobene Stimmung einer Fachkonferenz. Für die technischen Abteilungen ist es die rare Situation von Begegnung und Austausch mit Kollegen gleicher Zunft. Oft ergeben sich Synergien. Was fürs eine Haus schwierig ist, kann das andere leisten. Man reicht sich in technischen Fragen die Hand.
Eine besondere unter diesen besonderen Bauproben war die von OPER ATZE AXT, nicht in Darmstadt, Bremen oder Gelsenkirchen, sondern – in einer Fabrikhalle in Unterkassel. »Zieht euch warm an, der Ort ist unbeheizt«, mailte Produktionsleiterin Anne Bickert. Von der Kasseler Straßenbahnhaltestelle mit dem trügerischen Namen »Katzensprung« bleibt es ein längerer Marsch durch Industriegebiet dann bis zum Firmengelände der Hafenstraße 76. Gemütlich ist es da nicht, aber wärmenden Kaffee kriegt man im 300 Meter entfernten OBI-Markt. Vom OBI-Bäcker, der Weihnachtswahn hat begonnen, hat jemand auch vorweihnachtliche Makronen mitgebracht. Sie bleiben liegen, nachdem ein OBI-Witz betreffend Makronen und Sägespäne gefallen ist.
Fabrikhalle statt Bühne also. Und anders als sonst auch auf Bauproben: nichts wird improvisatorisch hier angedeutet, alles steht bereits fertig da: die finalen Bauteile, professionell verschraubt und verschweißt von den Leuten des RHO-Kollektivs. Als Bauprobe, »die keine war«, bezeichnet sie mit Ironie in der Stimme am Telefon später Brigitte, Bremens Operndirektorin.
RHO, nicht nur künstlerisch, sondern in diesem besonderen Fall eben auch baulich für die Bühne verantwortlich, kooperieren in OPER OTZE AXT mit »Dritte Generation Ost«, man könnte sagen: bilden ein »Subkollektiv« der DDO-Leute.
Über mehrere Wochen haben RHO in Unterkassel mit teils kostengünstig, teils kostenlos erworbenem industriellem Ausschussmaterial gearbeitet, sich vom dabei Aufgetriebenen inspirieren lassen, es experimentierend auf verschiedenste Weisen zusammengebaut, wieder auseinandergenommen, neu zusammengesetzt. Drei Objekte sind dabei entstanden: auf Rollen gesetzte Kammern, die ihre Herkunft aus Schrott nicht zu vertuschen zu versuchen, sondern geradezu ausstellen. Sie ruhen auf ausgemusterten Bühnenwägen, die das Staatstheater Kassel stiftete, so dass neben Darmstadt, Bremen und Gelsenkirchen unter der Hand also ein weiteres Theater zu dieser Produktion nun mit beiträgt.
Für die Leute von RHO, die künstlerisch sonst im Bereich von Ausstellung und Installation arbeiten, ist die DDO-Kooperation die erste Begegnung mit dem Feld des Theaters. Ihre Arbeit muss sich in Kassel nun den Häusern, vor allem dabei deren Sicherheitsbestimmungen, stellen.
Ungewohnt ist die Begegnung auch für die Theater. Dies oder jenes müsste noch zusätzlich verschweißt werden, ansonsten fällt für die Werkstätten kaum eigene Arbeit an. Trotzdem, vieles hier trifft sich mit aktuellen Tendenzen im Bereich der Performing Arts, übersetzt sie vom Gebiet der Bühnenaktion sozusagen in den Bereich der Bühnenplastik: Ein klassischer philosophischer Versuch, das Schöne zu definieren, verbindet sich damit, seinen besonderen Nutzen abzuheben von jeglichem Nutzen innerhalb der Kategorien praktischen Verwertbarkeitsdenkens. Das auf praktischer Ebene Nicht-mehr-Nützliche, dem die Wegwerfgesellschaft in ihrem Zwang zu immer beschleunigterer Produktion immer beschleunigter auch das Müllplatz-Etikett »nutzlos geworden« aufklebt, hier erscheint es entsprechend solcher Definition zu Schönem geadelt.
Analog zu der Weise, wie den Projekten von »NOperas!« im Szenischen wie Musikalischen gewöhnlich kein genau definierter Plan mehr vorausgeht, der im Probenprozess dann nur noch »auszuführen« wäre, so geht auch dieser Bühne kein Plan auf Papier mehr voraus. Wie also Theaterproben im Rahmen von »NOperas!« dem behutsam experimentierenden Prozess einer Stückfindung dienen, bei der die beteiligten Performer sich wesentlich mit einbringen, so wurde auch hier am Material selber erprobt und entwickelt. Beides trifft sich mit der Idee eines Theaters, das nicht mehr allein Illusion und also idealisiertes Gegenbild zu wirklicher Welt sein will. Wie der Performer sich als der, der er ist, dabei nicht mehr hinter Schminke und Maske verbirgt, seinen Beruf nicht mehr allein in »so tun als ab« begreift, will auch diese Bühne nicht als Attrappe eines anderen mehr gelesen werden, sondern als Darsteller ihrer selbst.
Mit dem Ende seines zweiten Dreijahresturnus wird »NOperas!« kommendes Jahr in die dritte Runde treten – und begegnet dabei schwierigen Zeiten!
Kultur ist in Deutschland als keines der Staatsziele verankert. Für ein Gros der Politiker ist sie ein Nice-to-have, auf das man ohne viel Aufhebens verzichten kann, wenn der Gürtel mal enger geschnallt werden muss. Besonders hart trifft es im Rahmen derzeitiger Haushaltspläne die Schwachen, denen institutioneller Schutz fehlt und deren Kunst zu neu und ungebärdig ist, um Staat, Stadt oder Land zu Repräsentationszwecken dienen zu können: Willkommen in der Freien Szene!
Noch schwieriger wird es nun werden fürs freie Musiktheater, dessen Existenz als ein Kunstbereich mit eigenen Formen man selbst Kulturpolitikern immer neu erklären muss. Anders als etwa in Belgien und den Niederlanden gibt es für seine Kunst keine eigenen Mittel – innerhalb der Institutionen des Fördersystems konkurriert sie zum einen mit dem Feld von Musik, zum anderen mit Performance, Schauspiel und Tanz, ist freilich meist kostenaufwendiger als diese und zieht bei der Mittelvergabe so oftmals den Kürzeren. Im Rahmen der geplanten Beschneidung von Mitteln des »Musikfonds« und des »Fonds Darstellende Künste« verliert sie nun noch weiter an Land.
Der »Fonds Experimentelles Musiktheater« wurde geschaffen als Initiative, die sich zunächst und vor allem aufs Stadttheater richtet und einer zeitgemäßen Erweiterung seiner Musiktheater-Spielpläne gilt. Seit Einrichtung des NOperas!-Programms leistet er in solcher Richtung noch wertvollere Dienste: gleich mehrere Häuser können sich beteiligen, die Tür hierzu steht prinzipiell jedem Theater offen. Auch freiem Musiktheater aber dient er. Ziel ist, die neueren Formen der Freien ins Stadttheater zu holen und die ästhetische Kluft zu schließen, die beide bis heute voneinander trennt.
Nur eine Produktion kann mit den vorhandenen Mitteln je Spielzeit aber realisiert werden. Für die Theater ist das bereits einiges. Für die Vielzahl an Akteurinnen und Akteuren freien Musiktheaters, die um diese Produktion jährlich konkurrieren, erscheint es zunächst wenig. Immerhin aber, es ist doch mehr als nichts. Teams finden beim feXm darüber hinaus Bedingungen zu einem prozessualen und auf Nachhaltigkeit angelegten Arbeiten vor, von denen sie woanders nur träumen können. In diesen schlechten Zeiten bietet der feXm der Szene so noch wichtiger gewordenen Halt.
Bremen, das gleich über 2 x 3 Jahre dabei war, scheidet aus NOperas! ab kommendem Herbst aus. Nach 1 x 3 Jahren wird auch Gelsenkirchen (Intendant Michael Schulz wechselt nach Saarbrücken) nicht mehr dabei sein. Darmstadt beginnt seine zweiten drei Jahre. Neu als Partner hinzu tritt das Theater Münster.
Unter 40 Bewerbungen für die Saison 2025/26 bestimmte die Jury zunächst fünf Finalisten, in Wuppertal stellten sich diese dann einem vertiefenden Gespräch. Gern hätte man mindestens zweien der präsentierten Konzepte zur Realisierung verholfen. Den Zuschlag erhielt »Die Kantine« vom Team um Nico Sauer. Mutig verständigten sich auch die beteiligten Häuser damit auf ein Projekt, das stark mit eingeübter Routine bricht und ihren Betrieb vor Herausforderungen stellt.
Ein Vergleich bisheriger NOperas!-Produktionen zeigt: ganz unterschiedliche Wege führen im Musiktheater heute hinaus über die Opernform. Die ersten, die in den 1960er Jahren ein Musiktheater jenseits der Oper begründeten, kamen von musikalischer Seite. Es handelte sich um Komponisten, die nach einer »visible music« strebten und ihr Material vom Auditiven ins Visuelle erweiterten. Das »Komponistentheater« jener Jahre führt über verzweigte Weiterentwicklung bis hin zu Multimedia-Künstlern wie Nico Sauer, der sich gleichzeitig als Komponist, Autor und Theatermacher begreift.
»NOperas!« befand sich noch in Geburtswehen als 2019 COVID ausbrach. Die Pforten des Häuser waren geschlossen, das Theater suchte Auswege im Niemandsland des Digitalen und – da ihm ein erkennbares Gegenüber fehlte – in einer Beschäftigung mit sich selbst. Die Problematisierung von Hierarchien und Machtstrukturen im eigenen Arbeitsfeld hat die Bühne seitdem nicht mehr losgelassen. Auch in diesem Projekt, sein Titel deutet es an, kreist Theater um Theater. Die verspielte Offenlegung seiner arbeitsteiligen Illusionsmaschinerie bei einem Blick hinter die Kulissen, der seinerseits als Theater und also als manipulierter erscheint, wirft Fragen zum Verhältnis von Kunst und Realität und zur immer komplizierter gewordenen Suche nach Wahrheit auf, die uns auf längere Zeit weiter beschäftigen werden.
Es ist ein nassgrauer Tag im September.
Durch den Spalt eines geöffneten Fensters dringt Straßenlärm von der Sonnenallee. Bauarbeiten. Sirenen.
Es ist neun Uhr morgens, als ich anfange.
Vor mir, mein Laptop.
Das immerwährende Klacken der Computertastatur verleiht meiner Arbeit einen Rhythmus. E-Mails fluten das Postfach.
Nachricht aus Gelsenkirchen.
Nachricht aus Darmstadt.
Antworten auf Nachrichten von Vorgestern.
Ping!
DM vom RHO-Kollektiv. Frage, ob noch weitere Ausgaben für Stahl getätigt werden können.
Roland ruft an. Wir tauschen uns über den aktuellen Stand des Projekts aus.
Mittagessen.
Wieder am Laptop.
Im Hintergrund läuft das Demotape des ersten Aktes.
DDR-Nostalgie und Lärm vermischen sich in meinem Zimmer zu einem eigenartig schönen Klangteppich.
Geld fließt von einem Konto auf ein anderes und saust als unsichtbarer Schatten über Ländergrenzen hinweg zu unserem Komponist.
Mehr E-Mails. Mehr Anrufe.
Am Abend ein Zoomcall mit dem Kollektiv.
Mikrofone rauschen, die Verbindung ist schlecht, Kronkorken werden geöffnet.
Zischen.
Der Call dauert wieder länger als erwartet und alle reden durcheinander.
Eine Polyphonie verschiedener Stimmen entsteht.
Ein bisschen wie bei einer Oper.
In der ersten Augustwoche traf sich das Team der neuen Opernproduktion »OPER OTZE AXT« in Berlin mit Schwerpunkt auf Komposition und Libretto. Für fünf Tage konzentrierten wir uns auf Chorpartien, Konzepte, Rauschfrequenzen und die Frage, wie sich die Hauptfigur Otze in dem Stück singend hörbar macht, wenn doch eigentlich dessen musikalische Freiheit erst in der Negation konventioneller Mittel liegt? Sind die klanglichen Elemente aus dem metallischen Resonanzen eines Abflussrohrs, Mittelwellen-Radiofrequenzen, alten Stasiprotokoll-Aufzeichnungen, die wir gleichwertig musikalisch nutzen, eine Möglichkeit Themenkomplexe wie Propaganda, Macht oder auch körperlich-mentale Desorientierung zu behandeln, ohne direkt darüber zu sprechen? Während einer konzeptuellen Probe dachte ich über das Bild des Hundes Nipper vor dem Grammophontrichter nach – »His Master’s Voice«. Eigentlich ist das ikonische Bild Ausdruck von Qualität und Klarheit des Schallplattenklangs, sodass selbst ein Hund die künstlich-körperlose Stimme seiner geliebten Bezugsperson nicht unterscheiden kann von der echten. Wir haben diskutiert, ob die Verbreitung einer Ideologie, aber auch eines fixen Gedankens, sich letztlich im Gehörten niederschlägt und dort bleibt, ähnlich wie ein Ohrwurm, der dich nicht mehr loslässt.
Das Kompositionsteam von OPER OTZE AXT besteht aus dem slowakischen Komponisten
Richard Grimm, der für die Niederschrift der kompositorischen Entwürfe maßgeblich verantwortlich ist, sowie Mathias Baresel, Frieda Gawenda und – hier schreibend, Antonia Beeskow. Wir letzten drei werden auch als Sänger:innen und Darsteller:innen in den Inszenierungen später auftreten. Ich konzentriere mich bei der Inszenierung auf das Sounddesign und den Übergang von Mikrofonierung zu akusmatischem Experiment und Lautsprechermusik. Für manche Szenen wünsche ich mir aber auch eine Art Verschmelzung zwischen klassischer Kompositionsform und Livesounddesign und -bearbeitung. In den letzten Tagen habe ich nach Klängen gesucht, welche später als Texturen oder Samples durch das Orchester oder die Sänger:innen getriggert werden könnten. Dabei habe ich an dem Ort, an dem wir auch geprobt haben, einige Feldaufnahmen gemacht: Metallene Streben, ein Waschbecken, den Resonanzkörper eines Fahrstuhls oder das langsame Sickern von Wasser in einem Waschtrog mit Kontaktmikrofonen abgenommen. Mich interessiert einerseits der Perspektivwechsel, das Unbekannte im Klang, das Harte und Kühle der Materialien. Andererseits hoffe ich, dass wir so ein Klangspektrum auffächern, das irritiert: zwischen Holz, Metall, Harmonie und Rauschen entstehen Kontraste, Schatten und (un-)hörbare Frequenzen. Vielleicht spiegelt die Übertragung von Streichquartett zu Granularsynthese sich wider mit dem dramatischen Verlauf der Geschichte, die wir erzählen wollen.
ist eine in Texas geborene Choreografin, Performerin, Tänzerin, Musikerin, Medienmacherin und vielseitige Unsinnsperson, die in Dresden und Berlin lebt. Sie hat Arbeiten für eine Vielzahl von Räumen geschaffen, darunter Theater, Galerien, Off-Spaces, das Internet und zuletzt ihre Möbel. Ihre Arbeit ist interdisziplinär, findet jedoch ihre Wurzeln in den gelebten Erfahrungen des Körpers. Sie interessiert sich für prozessorientierte Kunst, die die komplexen Ökologien von Menschen und Nicht-Menschen, die mathematische Logik der Absurdität und das tiefgründige Mitgefühl, das durch Rituale des Scheiterns gefunden werden kann, offenbart.
geboren in München, lebt seit 2014 in Berlin. Er ist ein multidisziplinärer Künstler, der als Komponist, Performer, Theaterregisseur, Filmemacher, Kurator und Programmierer tätig ist. Sein akademischer Werdegang umfasst ein Bachelorstudium in Komposition bei Wolfgang Rihm an der Hochschule für Musik Karlsruhe und an der Haute École de Musique in Genf. Seinen Masterabschluss erwarb er bei Manos Tsangaris an der Hochschule für Musik Dresden. Zu seinen frühen Arbeiten zählen transmediale Performances wie »NeueMusik24«, »Deutsch-Afrika« (2014) für Kammerorchester mit Computerstimmen und »Love Me« (2016) für Ensemble und 100 Masken. Zu seinen jüngsten Arbeiten gehören die 360° Audio-Mockumentary mit Visuals »Moonbreaker 2121«, die im festen Programm des Berliner Zeiss-Großplanetariums läuft; 2023 kam seine Solo-Oper »Atlantide Acide« in Paris zu Uraufführung, in der eine Mikrofonierung des Mageninneren per nasogastrischer Sonde erfolgt. 2024 wurde mit großem Erfolg seine Straßenverkehrs-Oper »RÜBER« auf der Münchner Biennale für Musiktheater aufgeführt, in der zehn Performer:innen neun Tage lang, acht Stunden pro Tag in den Münchner Straßen ein Publikum bespielten, das sich im Inneren einer fahrenden Limousine befand.
geboren in Katowice (PL), im Sternzeichen Waage, mit Aszendent Waage und Mond in Skorpion. 2011 absolvierte sie ihr Diplom in Gestaltung und freier Kunst mit Schwerpunkt Grafik am T. Kantor Kunstgymnasium und schloss 2017 ihr Diplom in Bühnen- und Kostümbild an der HfBK Dresden ab. Darauf folgte eine Festanstellung an den Münchner Kammerspielen, wo sie von 2017 bis 2020 als best girl, u. a. mit Philippe Quesne, Trajal Harrell, Florentina Holzinger, Susanne Kennedy, Marta Górnicka, Alexander Giesche und Henrike Iglesias zusammenarbeitete. Ihre Tätigkeit als freiberufliche Visual Designerin für Theater und Film führt sie u. a. an Häuser wie die Münchner Kammerspiele, Schauspiel Dortmund, Staatsschauspiel Dresden, Theater Augsburg, TJG Dresden, Festspielhaus Hellerau, Gorki Theater. Am wohlsten fühlt sie sich irgendwo zwischen freier Kunst und der Ermöglichung von technischem Wahnsinn.
ist Germanistin, Übersetzerin und Herausgeberin. Derzeit ist sie Post-Doc-Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an an der Ludwig Maximillian Universität München mit einem Forschungsprojekt zu Max Benses kybernetischer Lyrik. Ihr Dissertation »Kathrin Rögglas Szeno-Graphien der Gegenwart. Formen und Methoden einer performativen Prosa (1995 – 2016)« erscheint demnächst bei De Gruyter. Coppolas Forschungsinteressen liegen im Bereich der Performativität der Schreibprozesse, sowohl in Prosa als auch in Lyrik, mit einem Schwerpunkt auf der Frage der Künstlichkeit. Derzeit gibt sie die erste italienische Übersetzung von Hubert Fichtes Roman »Forschungsbericht« (1981) für IISF Press heraus. Seit 2017 kuratiert sie Radio- und Übersetzungsprojekte für das Goethe Institut in Neapel und gewann 2020 mit einer Adaption von »Aus der Fremde« (1981) von Ernst Jandl den »Kunst Radio-Radio Kunst«- Wettbewerb von Radio Ö1 Wien.
2025 – 2027
Das 1956 eröffnete Gebäude des Theater Münster gehört zu den bedeutenden Theaterbauten der Nachkriegsarchitektur. 1971 wurde dem Großen Haus (955 Sitzplätze) mit dem Kleinen Haus (rund 280 Plätze) eine zweite Spielstätte angegliedert, die aufgrund ihrer variablen Raumsituation auch Erfordernissen experimenteller Theaterformen gerecht wird. Mit der Spielzeit 2022/23 wurde Dr. Katharina Kost-Tolmein Generalintendantin und Leiterin Musiktheater. Neben Musiktheater, Schauspiel und Tanz schließt das Haus ein eigenes Jugendtheater (Junges Theater Münster) als vierte Sparte mit ein. Mit seinen rund 30 Premieren bei 600 Aufführungen pro Saison verfolgt das Haus einen anspruchsvollen Spielplan, der durch die Produktion der Niederdeutschen Bühne, zahlreiche Gastspiele und ein breit angelegtes Rahmenprogramm ergänzt wird.
wuchs bei Venedig auf, studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der JLU-Gießen und lebt derzeit in Frankfurt am Main. Ihr künstlerisches Schaffen entfaltet sich in einer Praxis an der Schnittstelle zwischen Theater, Text und Textil. Dabei widmet sie sich alternativen Lebensmodellen, Antihelden sowie der Entzifferung der Realität aus weiblicher Perspektive. In der Spielzeit 2023/24 schrieb und inszenierte sie das Bühnenstück »Bettina« am Gießener Stadttheater. Für das Festival »Politik im Freien Theater 2022« realisierte sie mit Antonia Beeskow und Aran Kleebaur die Live-Performance »that there then, not now here past«. Sie war künstlerische Co-Leiterin des Festivals IMPLANTIEREN 2022/23 und arbeitet seit 2016 regelmäßig als Performerin und Kostümbildnerin bei internationalen Produktionen, unter anderem für die Choreographen Jerôme Bel und Tino Sehgal. Ihr erstes Buch »Stressed/Desserts« – in Kollaboration mit der Berliner Autorin und Künstlerin Olga Hohmann – wurde 2024 von windpark books publiziert.
Mit der Premiere am Staatstheater Darmstadt kommt die dritte Etappe von »Freedom Collective« zum Abschluss. Dem Anspruch von NOperas! folgend hat sich auch diese Produktion auf ihrem Weg »weiterentwickelt«. Schon die Unterschiedlichkeit der drei Bühnen verlangte bei jeder ein anderes Raumkonzept.
Weitergekommen erscheint mir das Projekt nun auch in der Auseinandersetzung mit dem, was früh sich als eine Art Grundkonflikt abzeichnete: Mit seiner Vertonung einer komplexen Erzählhandlung gehört »Freedom Collective« textlich und musikalisch dem Genre zeitgenössischer Oper an, auf Ebene der Bühnenaktion dagegen zielte das Regieteam auf ein dezidiert »postnarratives« Theater, das der Oper eher fernsteht. Was für ein Theater ließ sich nun in der Rückschau aus so gegenläufigen Ansätzen schaffen?
Um das Wichtigste noch einmal zu rekapitulieren: Nicht der Underground-Club, von dem das Libretto erzählt, findet sich auf der Bühne dargestellt, sondern eine Gaming-Situation. Die Performer agieren als Spielende, welche die Libretto-Figuren als Avatare führen. Weitgehend befreit sich die Aufführung so vom herkömmlichen Prinzip einer genaueren Nachzeichnung der in Libretto und Musik angelegten Erzählung. Minutiös wurde trotzdem in Gelsenkirchen zunächst noch jedes gesungene Wort übertitelt. Wer dies zum Aufhänger nahm, all den Konflikten um Drogen, Boxen und Queerness folgen zu wollen, von denen die Handlung erzählt, fand wenig Unterstützung im Bühnengeschehen und konnte am Ende nur scheitern. In Bremen wurde hieraus zunächst die Konsequenz gezogen, ganz auf Übertitel zu verzichten. Noch mehr trat das Narrativ so in den Hintergrund. Und klammert sich die Partitur auch an die differenzierte klangliche Umsetzung jedes Handlungsdetails, so erschien sie in ihrer Wirkungsweise stärker nun noch als in Gelsenkirchen reduziert auf den Charakter einer berauschenden Klangkulisse aus Gesangsstimmen und Orchesterfarben. Wie auch auf anderen Ebenen der Aufführung ging es dabei weit mehr um »Eintauchen« als Verstehen.
Zwischen Erzählen und Nichterzählen, den widerstreitenden Polen dieser Produktion, erscheint mir in Darmstadt nun ein Gleichgewicht gefunden, das die Widersprüche antagonierender Ansätze nicht aufhebt, aber gegeneinander austariert und auf diese Weise eine produktive Spannung schafft. Zurück sind die Übertitel, großzügiger aber sind sie gesetzt, nicht mehr hangeln sie sich im Sekundentakt an jedem Librettowort entlang. Die Musik – sicher keine leichte Entscheidung – ist um mehrere Passagen gekürzt, wodurch sich die Aufführung vom Ballast einiger peripherer und innerhalb dieses Theaters, das weniger erzählen als einfangen will, kaum transportabler Inhalte befreit. Im Gegenzug verschmelzen die Gamerinnen und Gamer etwas mehr nun mit ihren Avataren, stärker überträgt sich so Opernhandlung auf sie. Man weiß in Darmstadt nicht, wo man eigentlich ist, im Computerspiel oder doch im Underground-Club und diese Unsicherheit überträgt sich auf den Besucher nicht als Manko, sondern als Unentwirrbarkeit gleichzeitiger Realitätsebenen.
Wie an den vorigen Theatern wird »Freedom Collective« in Darmstadt unter dem Label »immersives Musiktheater« geführt. Schon in der damaligen Projektbewerbung war solch ein Anspruch geltend gemacht: Theaterbesucher sollten nicht Betrachter:innen des Bühnengeschehens, sondern Teil von ihm werden. Vor allem auf Aufhebung der Trennung von Bühne und Zuschauerraum hat die Regie dabei gesetzt. Die Akteure sollten sich mitten im Publikum befinden und dieses sollte sich selber dabei frei bewegen können. Diesem Ansatz stellen sich im großen Haus Darmstadts nun Sicherheitsbestimmungen entgegen. Früh ist im Fortgang des Projekts dabei jener Teil des Konzepts in den Hintergrund gerückt, der Immersion auf ganz andere Weise versprach. Theater sollte um neue Medien erweitert werden, wesentliche inhaltliche Ergänzungen sollten während der Aufführung auf einer Handy-App abrufbar sein. Viel Arbeit wurde in diese App gesteckt, die eigens für diese Produktion vom Experimentalstudio des SWR entwickelt wurde. Dennoch fehlte es ihr am Ende an Flexibilität, um vielfältiger eingesetzt werden zu können und zuletzt viel mehr als ein Gadget zu sein, das wenig Einfluss auf Dramaturgie und Wahrnehmung der Aufführung ausübte.
Wieviel also bleibt in Darmstadt dann immer noch »immersiv«? Ein Parcours führt das Publikum vom Foyer zunächst vor den verschlossenen Eisernen und von dort aus später auf die Bühne mit nun umgekehrtem Blick ins Parkett – kein ganz neuer Effekt, immer noch ein effektvoller zur Hinterfragung des Theaters als Illusionsmaschinerie. Von diesem Moment an, drei viertel der Aufführung liegen noch vor uns, wird »Freedom Collective« zu veritablem Guckkastentheater. Stünde es nicht anders auch auf dem Programmzettel – so what? wollte man fragen. Verfeinert hat sich gegenüber früheren Etappen die Figurenführung; wirkungsvoll wird mit der Tiefe des Raums gespielt; die 3D-Animationen erscheinen auf effektive Weise um zusätzliches Material erweitert; eine ausgefuchste Lichtregie setzt an der Musik orientierte Zäsuren und Darmstadts Beleuchtungsabteilung darf mit allem funkeln, was so ein Haus an Lichttechnik hat. Das Publikum erscheint erscheint nach Ende der Vorstellung angetan. Stirnrunzeln dann bei den Premierengesprächen aber im Bezug auf die Handys. Durch die Erwartung, die hier geschürt, aber doch kaum erfüllt wurde, fühlt sich mancher doch etwas gefoppt. Hätte man sich entscheiden sollen, die Handys zuletzt rauszuschmeißen? Wenig wäre dann allerdings noch übrig gewesen von jenem Konzept, dem die NOperas!-Jury den Zuschlag gab.
Bevor nun in der FAZ mit einiger Verspätung eine positive Kritik erschien, meinte es die Presse mit der Aufführung nicht gut. Anders als Helga und Horst versuchen sich Kritikerinnen und Kritiker vor dem Vorstellungsbesuch genauestens zu informieren, lesen Erläuterungen des Librettoinhalts, lesen auch das Zauberwort »immersiv«. Sie finden in der Aufführung kaum genug von beidem und fehlgeleitet in ihren Kriterien machen sie dann ihre Rechnung auf. Sofern der Fonds Experimentelles Musiktheater seinen Namen aber zu Recht trägt, ist das Ende immer offen. Wo immer es darum geht, »Stückentwicklung« zu ermöglichen, laufen Vorankündigungen das Risiko, dass alles ganz anders ausgeht, als es zuerst avisiert war. Vieles an Ankündigungen zu »Freedom Collective« ist lang schon in Jahresheften veröffentlicht. Anderes, das bis zuletzt falsche Erwartungen schürte, hätte sich doch aber vermeiden lassen – wohl müssen wir hier in Zukunft vorsichtiger sein.
rq
RHO ist ein 2017 gegründetes Künstler:innen-Kollektiv. Es verzichtet auf personale Eigennamen und versteht sich als Gemeinschaft zur Durchsetzung kreativer Konzepte an der Schnittstelle verschiedener Professionen wie z. B. Bildende Kunst, Theater und experimentelle Musik.
RHOs Arbeitsschwerpunkt liegt auf immersiven Rauminstallationen, die sämtliche Sinne adressieren, um bestehende Strukturen physischer, psychischer sowie sozialer Räume und deren Wahrnehmung spielerisch zu untersuchen. Einen zentralen Aspekt bildet hierbei die körperliche Erfahrung, die durch die Choreografie von Licht, Schatten, Geräuschen und Gerüchen sowie performativen Elementen erreicht wird.
Gezielt betreibt RHO auch die Zusammenarbeit mit anderen Kollektiven, so. u. a. mit dem Performance Duo Studio Beisel oder aktuell dem Kollektiv Dritte Degeneration Ost. Im Rahmen des Karl-Sczuka-Preises 2021 erhielten RHO und das Vokalsensemble Γλώσσα (Glossa) das gemeinsam von Donaueschinger Musiktagen und Goethe-Institut ausgeschriebene »Internationale Recherchestipendium 2022« für ihr gemeinsam produziertes Hörstück »Cholera – I though I should never speak again«.
Es ist Frühsommer. Die Mannschaft (Mathias, Frieda, Antonia als geballte Kompositionskompetenz; Frithjof und Romy aus der Schreibtisch-Ecke) erreicht Donnerstagnacht in sternenzügiger Anfahrt Kassel. Dank der Kooperation mit dem RHO-Kollektiv stehen uns hier nicht nur eine Lagerhalle, sondern auch ein leerstehendes Bürogebäude zur Verfügung, wovon eines mit Betten, das andere mit Bühnen- und Bauobjekten gefüllt ist. In dem von der Stadt als Zwischenraumnutzung für u. a. die documenta genutzten Objekt arbeitet RHO für die Produktion. Auf dem Boden sind mit Kreide die ungefähren Bühnendimensionen eingezeichnet. Rollhunde, Baumaterialien und Werkzeuge ergänzen die Situation. So arbeitet das Bühnenbild-Team: Statt auf Papier werden Ideen direkt baulich umgesetzt. Für uns eine willkommene Abwechslung zur gesprächs- und kopflastigen Text- und Konzeptionsarbeit.
Mehrere Objekte, Kuben auf Rollen, werden von Laurenz und dem RHO-Kollektiv präsentiert: Metallgitter ersetzten die Zimmerwände und Grenzmauern. 90% des deutsch-deutschen antifaschistischen Schutzwalls bestanden aus eben jenen Metallgitterzäunen, wird uns gesagt. Es hatte also tatsächlich niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen. Der antifaschistische Gartenzaun. Daneben ein 70er Jahre westdeutscher Zigarettenautomat. Ist das die Allegorie der Freiheit?
Die einzelnen »Skulpturen« bekommen Namen. Die »Dieter«-Skulptur und die »Otze«-Skulptur. Noch eine dritte für die Staatssicherheit. Dank der baulichen Arbeit lässt sich leicht über das Gesehene sprechen. Wir tauschen Ideen aus. Es gibt Sorgen betreffend der Modulhaftigkeit der Objekte. Wo führen Kabel lang? Welche Leuchtmittel müssen wie platziert werden? Dank der räumlichen, wie technischen Entscheidungen, die wir in diesem Zuge treffen konnten, bekommt die Arbeit der anderen Gewerke nicht nur räumliche, sondern auch inhaltliche Struktur. Der Wunsch eines »osmotischen Arbeitens«, in dem Setzungen und Wünsche Einzelner, immer wieder Fragen und Unsicherheiten an anderer Stelle beantworten können, scheint zu greifen.
Die Stahlgitter werden mikrofoniert und schon sind wir im Musiktheater. Wir erklettern eine »AMPore«, stellen die Skulpturen in allen möglichen Konstellationen umher, befragen die Räumlichkeiten, die unser Held durchqueren wird: im Zuhause, im Betrieb, im Käfig, im Schweinestall. Lange und ermüdende Diskussionen im Team um den Zigarettenautomat. Zuletzt herrscht Konsens: besser, wir lassen ihn »sterben«.
Das Kompositionsteam1 trifft sich zum ersten Mal in der frühlingshaften Hauptstadt.
Am ersten Abend geht‘s natürlich gleich in die Kneipe, wohin auch sonst mit dem ganzen Glück!
Wir besprechen die ersten Librettoentwürfe und suchen nach geeigneten Ausdrucksformen, klanglich konzeptuellen Äquivalenten zur Geschichte.
Oper, das konservative, das etablierte Musiksystem. Noise als Ruf der Freiheit, Punk als Vorschlaghammer. Wir wollen ja Oper dekonstruieren.
Wir besprechen experimentelle Ansätze zum Umgang mit Stimme,
Diamanda Gallas.
Chainsaw Man auch noch.
Der Übergang von Sound zu Stimme erinnert uns an Hermeto Pascual und wir stellen uns vor, ihn und seinen Fluss in unser Stück einzuladen.
Aber schon tot! Schade!
Der Übergang von Geräusch zu Stimme als psychologischer Prozess. Das Electronic Voice Phenomenon könnte uns den Übergang von Radiorauschen zu Sprechstimmen und Gesängen ermöglichen.
Wie kann man gesprochene Sprache komponieren, tonalisieren, modulieren oder rhythmisieren?
Wie können wir interessante Formen der Publikumspartizipation kreieren?
Der Versuch, zu viert zu komponieren, ist auch für uns Neuland.
Wir wollen Lieder, klassische Komposition, elektronische Soundscapes und die Geräuschhaftigkeit unserer Bühnenobjekte nutzen.
Nach dem Essen zeigen wir Richard verschiedenes Liedgut aus dem Agitprop und beginnen erste
Skizzen daraus zu entwickeln.
Insgesamt wird uns klar, dass wir das Libretto als Materialsammlung verstehen.
Als Grundlage unserer Komposition soll ein Szenenplan dienen, den wir in der großen Runde in den nächsten Wochen fertig stellen wollen.
Theatrale Elemente, Psychologie, Text, Musik, Objekte sollen gleichrangig in den Entwicklungsprozess einfließen.
Wir wollen keine künstlerische Hierarchie eines Departments etablieren. Das ist aufwändig und kleinteilig, aber wir vertrauen darauf, dass in der Vielheit aller Stimmen unserer Gruppe etwas uns alle Übersteigendes wachsen kann.
Der nächste gemeinsame Termin vor Ort, neben unendlichen Zoom-Meetings wird die Erstbesichtigung des Bühnenbildentwurfs Ende Mai in Kassel.
Dort können wir dann endlich anfangen, aus der Theorie ins Machen zu kommen.
1 Richard Grimm, Mathias Baresel, Antonia Beeskow
Das neue Jahr beginnt für Dritte Generation Ost mit intensiver Arbeitsklausur zu OPER OTZE AXT in Stralsund. Drei der acht stammen von dort, die Mutter der beiden Gawendas gibt ihre Wohnung frei, eine Woche lang wird sie zur NOperas!-WG.
Eine Woche wird hart geklotzt. Es herrscht ein rigoros durchgetakteter Tagesplan. Morgens teilt sich das Team in jeweils kleinere Gruppen auf, um getrennt einzelne Felder – Libretto, Bühne, Musik – zu bearbeiten und diese abends im Plenum wieder zusammenzuführen. Auch zusätzliche Förderinstitutionen neben dem feXm werden recherchiert, dem Plan nach soll sich das Projekt auch nach Abschluss seiner drei NOperas!-Phasen weiter entwickeln und zu zusätzlichen Aufführungen, vor allem im Osten, finden können.
In den letzten zwei Arbeitstagen stoße ich als Dramaturg des feXm dazu. Draußen schneidene Kälte und strahlend blauer Himmel, in der Gawenda-Wohnung überfüllte Aschenbecher und dichte Tabaksschwaden.
Einiges an grundsätzlichen Gedanken ist in diesen Tagen entstanden.
In groben Zügen nur soll sich OPER OTZE AXT an der realen Lebensgeschichte des Dieter »Otze« Ehrlich orientieren. Es soll von seiner Geschichte inspiriert bleiben. Es soll von Ehrlichs Geschichte inspiriert bleiben, ohne sie im Detail nachzuerzählen und Anspruch auf historische Wahrheit zu erheben. Keinesfalls soll es in die Spuren wohlfeiler Personality-Musicals à la Lindenberg, Bowie oder Abba geraten.
Grundsätzliche Stadien: Otze als Nonkonformist, sein Aufbegehren, sein Konflikt mit der Staatsmacht und sein heimlicher Pakt mit ihr, als er Zuträger der Stasi wird. Otze dann im vereinten bundesrepublikanischen Deutschland: er gleitet in Drogen ab, er erschlägt seinen Vater.
Irgendwo verborgen in dieser Geschichte: Fragen zum Verhältnis von DDR und neuem Gesamtdeutschland. Zu den sogenannten »Wende«-Jahren, zur Punkbewegung in Ost und West. Und Fragen natürlich zu Begriff und Idee von Freiheit. »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« sangen in dieser Zeit Ton, Steine, Scherben. »Mach dich doch selbst kaputt!« heißt dagegen ein Titel von Dieter Ehrlich.
Obwohl DDO zu gleichen Teilen männlich und weiblich besetzt sind, ist in diesen zwei Tagen allein von männlichen Lebenswelten die Rede. Von harten Jungs, die sich heroisch prügeln und besaufen, konspirativ irgendwo ihre Verstärker hinbauen, um ihren Frust rauszubrüllen in die abgeschlossene Eigenwelt der Punk-Community.
Drei Protagonisten schälen sich heraus: Otze, dessen Vater und das Kollektiv einer vielgesichtigen und deshalb umso gesichtsloseren konformistischen Außenwelt – als Charaktermasken und Stimmführer des Systems »Deutschland« (erst Ost, dann Ost-West) können einzelne Figuren aus ihr hervortreten, nur um sogleich dann wieder in sie zurückzufallen. Frauen jedenfalls scheinen in der Welt Otzes keine bestimmende Rolle zu spielen. Um Ödipus zu sein, fehlt Otze bislang die Iokaste.
Wie geht ein Musiktheater, das sich auf Punk bezieht, mit klassisch geschulten Opernstimmen, mit den Instrumenten eines klassischen Orchesters zusammen?
Schlüsselfigur soll die des Vaters sein, gedacht als immer wieder präsente, immer dabei aber stumme Person. Abwesenheit von Klang umgibt ihn. Stille ist ja im Moment der Generalpause eines der überhaupt stärksten musikalischen Ausdrucksmittel. Aufbegehren durch Noise und Geräuschklang charakterisiert dagegen den Sohn. Während er vergeblich um Austausch mit dem Vater schreit, herrscht bei beiden auf jeweils eigene Art Sprachlosigkeit. Zitathaft parodistisch gegen sie beide gesetzt dann das Idiom der Oper als das eines west-östlichen Kleinbürgertums, gefangen in musikalischen Klischees.
Vor allem diese musikalische Dramaturgie ist es, die der Otze-Parabel bislang eine genauere Deutung abgewinnt. Ein Stück mithin auch über die Sprachlosigkeit einer gesamtdeutschen Gesellschaft. Ein Stück auch über die veränderte Fortführung des Elternkonflikts der 68-er in die 80er-Jahre hinein.
War die Revolte der 60-er Jahre so optimistisch im Glauben an die Möglichkeit eines besseren Lebens wie sie gleichzeitig sprach- und theorieübersättigt war, so blieb nach dem Absturz all dieser Hoffnung, nach Ende des Prager Frühlings im Osten, RAF und Roten Brigaden im Westen in der späteren Honecker-Ära, die gleichzeitig die Ära von Kohl, Reagan und Thatcher war, nur noch das sprach- und theorielose Gefühl eines letzten Tanzes auf der Titanic. In der »zeitgenössischen Musik« zerfallen in dieser Zeit alle verbindlichen Systeme. Der Pop ergeht sich in düster klagenden Gesängen. Punk schreit auf gegen die Welt, ohne eine bessere zeigen zu können oder dies auch nur zu wollen. Erst die Gorbi-Rufe beenden das allgemeine No-Future-Gefühl. Aber in Kohls blühenden Landschaften blüht heute vor allem die AfD.
Gelungene Premiere von »Freedom Collective« am MiR. Wo sind wir aus meiner Sicht angekommen?
Davor Vinczes Partitur ist die sicherlich anspruchsvollste, mit der die Theater im Rahmen von NOperas! bisher zu tun hatten. Befürchtungen, die vereinbarte Zahl an Orchesterproben würde nicht reichen, erfüllten sich am MiR nun jedenfalls nicht: Premil Petrović – als musikalischer Leiter von außerhalb mit auch Teil des Projektteams – zeigte sich schon nach der ersten Probe angetan von Engagement und Virtuosität der Gelsenkirchener Musiker:innen. Aus ebenso vollem Mund zu loben, das optimal besetzte Quartett der vier Sänger-Darsteller:innen. Und Hut ab vor der Tonabteilung des MiR für die lückenlose Spatialisierung des Klangs und für die perfekte Amalgamierung von musikalischem Live-Geschehen und elektronischer Zuspielung.
Auch die bei weitem »opernhafteste« NOperas!-Partitur bislang hat Davor Vincze geschrieben, inklusive, man staunt, eines Liebesduetts, das dem Rosenkavalier an Kulinarik kaum nachsteht. Pathos und Schönklang, über lang waren sie definitive »No Nos« für Komponist:innen, die sich dem Musiktheaterbetrieb nicht anbiedern wollten, finden zu neuen Ehren. Jeder Klang aber bleibt avanciert. Nie fällt seine Musik ins Epigonische oder harmlos Eklektische zurück. Wo unterscheidet sich in ihr Eigentliches von Uneigentlichem, Aussage von Ironie und Zitat? Ich kämpfe mich noch immer an ihr ab.
Nun ist im Namen des NOperas!-Programms neben »Oper« auch das Wörtchen »nicht« versteckt – um Projekte, die auch theatral neue Wege gehen, soll es gehen. Projekte, die, auf welche Weise auch immer, übers traditionelle Erzählen des Operngenres hinausreichen. Bei der Projektvergabe versprach sich die Jury das vor allem vom Konzept, das Publikum mittels Smartphones ins Musiktheatergeschehen mit einzubeziehen. Zumindest innerhalb dieser ersten Projektstufe am MiR erfüllte sich dies nach Meinung der meisten nur teilweise. Manchen kam ihr Browser in die Quere. Wer stattdessen »connected« war, erlebte substanziell kaum Zusätzliches. Eine Frau, sie mochte kaum dreißig sein, mit der ich dann sprach, reagierte allergisch gar: »Ich geh ins Theater, um von dem Ding endlich mal loszukommen, selbst hier fummelt jetzt jeder aber am Handy rum!« Geht diese Beschwerde wesentlich mit auch an die Jury von NOperas!, so mussten Ansprüche, das Publikum als Handelnde ins Theatergeschehen mit einzubeziehen, schon bei »Chaosmos«, der ersten NOperas!-Produktion, am Ende zurückgeschraubt werden. Die Idee einer Gamifizierung des Musiktheaters bewegt im Moment viele. Selten sah ich dies Ziel auf überzeugende Weise bisher erreicht. Noch aber warten ja hier Bremen und Darmstadt.
Dass schon die erste Entwicklungsstufe von »Freedom Collective« den Anspruch von NOperas! trotzdem erfüllt, verdankt sich Heinrich Horwitz‘ Ansatz, nicht auf herkömmliche Weise Handlung zu erzählen. Das Publikum ist nicht auf Sitze gefesselt. Fuzzy Edges trennen Bühne und, wie das bisher hieß, »Zuschauerraum«. Die Kunstform ist nicht die einer Oper. Es ist die eines Environments aus Licht, Klang und eher symbolisch zurückgenommener Theateraktion. Eine Metaebene leistet den Trick: die vier Darsteller:innen verkörpern nicht Figuren des Stücks, sie sind Player, die diese Figuren als Avatare führen. Doch also Game, wenn auch dabei vor allem erzähltes. Nichtsdestotrotz, das Publikum soll aktiv bleiben. Vinczes Partitur leistet Unterstützung, indem sie – ein Schlüsselmoment – mitten im Stück aus dem Opernidiom über längere Zeit in elektronische Dancefloor-Klänge ausbricht. Einige ließen sich vom Ensemble als Animateuren zum Raven mitreißen. Andere wirken zumindest an diesem Premierenabend eher irritiert, überwinden kaum ihre Hemmung, den Operntempel des MiR auf gewünschte Art mit zu entweihen.
Der Abend war ausverkauft und der Altersdurchschnitt lag um gut die Hälfte unter dem gewöhnlicher Opernabende. Schlagendes Beispiel dafür, dass Musiktheater neue Formen und wohl auch neue Formate braucht, will es künftig auch jüngere mit erreichen. Die meisten gaben sich einfach dem Genuss des »medialen Overkill« (Deutsche Bühne) hin. Sofern sie mitbekommen hatten, dass im gesungenen Text vielfach von Drogen die Rede ist, erlebten sie auch ohne diese so einen berauschenden Abend. Vinczes Musik allerdings erzählt in jedem Augenblick eine Geschichte mit vielerlei Handlungswendungen: Wer kämpft gegen wen, wer liebt, wer verrät wen, was passiert dabei wem und warum? So kleben andere mit dem Auge an den Übertiteln, die die gewohnte Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum, Theater und Publikum ungewollt wieder herstellen. Man versucht Handlungskonflikte zu entziffern, auf die es der Szene nicht ankommt, strandet dabei und fühlt sich am Ende gefoppt.
Selten habe ich so unterschiedliche Stimmen wie nach dieser Premiere gehört. Entscheidendes hat sie erreicht, wenn sie zu so engagierten Diskussionen führte. Als NOperas!-Projekt lebt »Freedom Collective« nach meinen Empfinden wesentlich aus der gewollten Dialektik zwischen Vinczes Revival einer genuinen Operndramatik und Horwitz‘ theatraler Postdramatik. Letztere behält hierbei bisher dabei die Oberhand.
rq
geb. 1997 in Berlin, studierte Theaterwissenschaft an der FU Berlin und an der Universität Hildesheim. Ihr Forschungsschwerpunkt galt der Schnittstelle von Theater und elektronischer Musikkultur und der Inszenierung von Rausch.
Ab 2018 arbeitete sie als studentische Mitarbeiterin im Bereich Audience Development und Kommunikation. Es folgten diverse Regieassistenzen mit Akteur:innen der freien Szene, darunter Turbo Pascal, DieOrdnungDerDinge und Franziska Seeberg. Seit 2022 arbeitet sie fest mit dem Regisseur Thorsten Lensing zusammen, dessen letzte Produktion »Verrückt nach Trost« bei den Salzburger Festspielen 2022 Premiere feierte. Gemeinsam mit Benjamin Eggers-Domsky entwickelte sie das performative Live-Hörspiel »Dream Baby Dream – Ein Sommernachtstanz«. Darüber hinaus arbeitet sie als Autorin für Audiodeskription im Theater und entwickelte Skripte für die Berliner Schaubühne und das Berliner Theater an der Parkaue. Sie ist zudem als DJ in dem Berliner Kollektiv R27 aktiv.
geb. 1992 in Düsseldorf, studierte Archäologie an der Universität zu Köln und von 2013 bis 2022 Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie 2021 im Zweitstudium den Master »Klang und Realität« am Institut für Musik und Medien Düsseldorf. 2023 wurde sie mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen in der Kategorie Musik ausgezeichnet.
Sie arbeitet seit 2017 als Performerin, Sound Designerin und DJ in der freien Szene und verantwortet Hörspiele, Podcasts, Installationen, Experimental-Filme. Darüber hinaus leitet sie Workshops zu Mikrofonierung und Klanggestaltung und schreibt als Autorin u.a. für das Fanzine »grapefruits.online« über Komponistinnen und female* Sound Artists.
In ihrer Arbeit interessiert sie Sampling, Akusmatik, Fragmentierung und Noise als hauntologische Erzählweisen und atmosphärische, affirmative Bespielung durch unterschiedliche Medien sowie das Archiv als künstlerische Form. An der Schnittstelle zwischen Klang, Text und Performance sieht sie ihr künstlerisches Forschungsgebiet.
geb. 1987 an der Ostsee, arbeitet als Musikerin, Komponistin für Theatermusik und Performerin mit den Schwerpunkten Figuren-, Material- und Objekttheater sowie musikalische Auseinandersetzung mit poetischen Texten. Musikalische Aus- und Weiterbildung erhielt sie u.a. bei Erika Stucky, Christian Zehnder, Sidsel Endresen, Renata Rosa, Ingrid Hammer, Ursula Scribano, Richard Koch, Arkady Shilkloper und Sergey Starostin.
Sie ist Gründungsmitglied des Kollektivs »Dritte Degeneration Ost«, sowie des Prager-Berliner Musik-und Objekttheater-Ensembles KHWOSHCH, dessen mehrfach preisgekrönte Produktion DINOPERA seit 2021 auf deutschen und tschechischen Bühnen, wie der Prager Staatsoper und dem at.tension! Festival gezeigt wurde. Bis zum heutigen Zeitpunkt entstanden vier weitere Produktionen in Tschechien und der Slowakei. Mit dem interdisziplinären Band-Projekt HUND entwickelt sie performative Konzertformate mit Objekten, Lichtinstallation und Percussionsrobotern. Mit der Band »my sister grenadine« tourte sie von 2017 bis zum vergangenen Jahr mit über 350 Konzerten in Deutschland, Tschechien, Frankreich, Österreich und der Schweiz und veröffentlichte zwei Alben auf dem Label Solaris Empire.
ist Regisseur, Schauspieler und Lichtdesigner. Bereits in seiner Schulzeit verantwortete er eigene Theaterarbeiten und machte erste Erfahrungen als Schauspieler in Film und Fernsehen u.a. mit Axel Ranisch. Nach ersten Regieassistenzen begann er sein Studium der angewandten Theaterwissenschaften in Gießen. Er arbeitete als Lichtdesigner und Videokünstler für u.a. Kim Willems und Ute Lemper. Er ist Mitbegründer des Lichtkunstkollektiv GODALIGHT sowie des Theaterkollektivs SAILOR TUNE. Er kollaboriert wiederkehrend mit verschiedensten Künstler:innen und Kollektiven, so u.a. mit »Frankfurter Hauptschule«, KHWOSHCH, »haufen«, PINSKER+BERNHARDT, Chiara Marcassa und Gerd Franz Triebenecker.
ist freischaffender Komponist, Regisseur und Performer und lebt in Berlin. Sein Interesse gilt der Magie der Dinge (Objekte und Figuren), der Identität als Kunstform sowie der Erforschung musikalischer Grenzbereiche. Neben der künstlerischen Arbeit, ist er auch als Captain Brasko auf den Weltmeeren, auf dem Beachvolleyballfeld, beim Apnoetauchen, und manchmal auch als Präsident einer Motorradgang anzutreffen.
Neben verschiedenen musikalischen Projekten (wie u. a. Ted Brasko, Boh Vajec Orchestra, Zei & Brasko, Krasny, Asche) ist er Gründer des Komponistenkollektivs »Stage Music« und des deutsch-tschechisch-russischen Objekttheater-Kollektivs KHWOSHCH.
geb. 1995 als slowakischer Staatsbürger, arbeitet als Komponist und Multiinstrumentalist im Bereich klassischer, populärer und experimenteller Musik. Zu seinen wichtigsten Einflüssen gehören Frank Zappa, Béla Bartók, György Ligeti, Dmitri Schostakowitsch sowie die französischen Bands Poil Ueda und Chromb! und die slowakischen Bands Ali Ibn Rachid und Collegium Musicum.
Im Rahmen von Soloauftritten unter dem Pseudonym Boh Vajec verbindet er Musik mit slowakischer und tschechischer Slam-Poesie.
2021 veröffentlichte er mit seiner Band »God and Eve« eine Debüt-EP und belegte beim »Internationalen Musikfestival Leoš Janáček« den zweiten Platz im Kompositionswettbewerb GENERACE 2021.
arbeitet als freischaffende Künstlerin im Drehkreuz von Konzeption, ästhetischer Forschung und künstlerischer Intervention. Wiederkehrende Arbeitsformen sind Stückentwicklung, Specifics und immersive Rauminstallationen. Als Regisseurin ist sie an der Schnittstelle zwischen Theater, Installation und Performance tätig. Sie realisiert Produktionen in der freien Szene und am Stadttheater und entwickelt theaterpädagogische Formate. Neben ihrer Theatertätigkeit arbeitet sie regelmäßig mit Menschen mit Behinderung.
Zwei Jurysitzungen werden gebraucht, um auf Grundlage der Bewerbungen übers nächste NOperas!-Projekt jeweils zu entscheiden. Wie immer wurde in der ersten eine Gruppe von Finalist:innen gewählt, die dann einen Monat Zeit hatte, die beteiligten Theater zu kontaktieren, genauere Fragen über dort gegebene Möglichkeiten zu stellen, die eigene Planung genauer zu konkretisieren, um sich in der zweiten Sitzung dann Auge in Auge einem vertiefendenden Gespräch zu stellen.
Wie fast immer auch blieb die Entscheidung diesmal bis zum letzten Moment schwierig. »Oper Otze Axt« heißt das Projekt, das dann das Rennen machte. Das Kollektiv, das die Produktion verantwortet, nennt sich »Dritte Degeneration Ost«.
»Oper Otze Axt« ist inspiriert vom Leben des Erfurter Punk-Musikers Dieter »Otze« Ehrlich und seiner Band »Schleimkeim«, die zum musikalischen Underground der DDR gehörte. Das Team überzeugte die Jury unter anderem, indem es seinen besonderen Blick auf die deutsch-deutsche Problematik vor den Hintergrund der Wendejahre stellt, die Frage nach dem Wesen von Freiheit auch über diesen Kontext hinaus auf provokante Weise verallgemeinert und so im Rahmen des Musiktheaters einen intelligenten thematischen Beitrag zu drängenden Fragen der Gegenwart liefert.
»Dritte Degeneration Ost« ist nicht nur das größte Kollektiv (acht Personen teilen sich die künstlerische Verantwortung), sondern zugleich auch das jüngste, das vom feXm den Zuschlag erhielt. Der Name persifliert die Aufarbeitungsversuche deutsch-deutscher Geschichte durch Netzwerk und Verein »Dritte Generation Ost«. Fast alle des Teams stammen aus »neuen Bundesländern«, verbinden ihr Projekt mit der Aufarbeitung persönlicher Erfahrungen. Mehr aber noch als die »Dritte Generation« gehört die »Dritte Degeneration« der Nachwende an, schaut auf die Zeit mit dem Blick einer Erfahrung, die zwar immer noch nah genug ist, um von persönlichem Interesse zu sein, doch aber fern genug, um eine neue historische Sicht zu erzeugen.
Das Wort »Wirklichkeit« wird in der vom Team verfassten Stückbeschreibung durch »Wirklichkeiten« ersetzt. Nicht mehr nur eine gibt es. Mehr oder weniger vorausgesetzt also, dass es aussichtlos ist oder vielleicht einfach nicht mehr darum geht, auf herkömmliche Weise Wahres von Falschem zu scheiden, die Idee multipler Realitäten anzuerkennen.
Jede Person soll in diesem »immersiven« Musiktheater ihr eigenes Stück erleben. Jede soll sich frei durchs Theater bewegen können in einem Raum, der zugleich Bühne und Zuschauersaal ist, deren herkömmliche Trennung also aufhebt.
Jede soll ins Driften zwischen unterschiedlichen Interpretationen der Handlung geraten, von denen nicht eine richtiger ist als die andere.
Immersion allerdings erweist sich als nicht einfache Übung, wo es um ein Musiktheater mit hochkomplexer Musik und entsprechend traditioneller Orchesteraufstellung geht. Auch der Lösung solcher Probleme galt die Bauprobe in Gelsenkirchen. Die Räume in den drei beteiligten Theatern unterscheiden sich. Magdalena Emmerig hat flexible Raumelemente geschaffen, die sich den Gegebenheiten jeweils anpassen lassen. Die Operndirektionen und technischen Abteilungen sämtlicher beteiligten Häuser waren mit angereist. Gelsenkirchen wurde auch für sie gewissermaßen zur Probe aufs Exempel. Würden sich Lösungen hier finden lassen, die das alles auch bei ihnen unter einen Hut bringen?
Bildschirme bestimmen seit Jahren unser Leben. Corona hat die Tendenz vervielfacht: Zoom-Konferenzen sind an die Stelle von Stadtfahrten oder gar Reisen getreten, Netflix an die Stelle von Theaterbesuchen, virtueller Sex in 3D an die Stelle realer Kontaktsuche. Theater ist ein Raum von Körperlichkeit. Screens aber werden auch »Freedom Collective« bestimmen – große im Zuschauerraum, kleine auf den an der Aufführung beteiligten Handys. Doch Besucher:innen werden zu Mitakteur:innen. müssen sich nicht nur im Raum bewegen, sondern sind auch auf ihren Handys zu eigenen »körperlichen« Aktionen herausgefordert und erleben letztlich eine gespaltene Welt aus Zuspielungen (auch auf musikalischer Ebene) und Live-Geschehen.
Auch der Aufwand an Tontechnik – das berühmte Experimental-Studio des SWR, ohne das u. a. die Arbeiten von Luigi Nono nicht möglich gewesen wären, wird beteiligt sein, wird wohl nicht immer erkennen lassen, welcher Klang gerade von woher kommt. Umso mehr aber scheint es gerade zu gehen um das Spannungsverhältnis zwischen medial vermitteltem und als »live« Erlebten.
Gibt es nicht doch also vielleicht Kriterien, nach denen wir den Wust divergierender »Realitätserfahrung« filtern können?
2. Juni: Premiere von »Fundstadt« in Bremen. / 16. Juni: Premiere in Gelsenkirchen. »Zauberhaft« nennt der Rezensent der Bremer Kreiszeitung die Aufführung. Fundstadts Anspruch, »die Welt mit Kinderaugen […] sehen« zu lassen, so meint er, mute zunächst »schon ein bisschen kitschig« an. Mit das größte Pfund besteht denn auch darin, allem Kitsch entronnen zu sein. So wie das Team den beteiligten Kindern auf Augenhöhe begegnete, tut es nun auch das Publikum. Die »Wesen«, welche die sechs Kinder als Begleiter für sich erfanden, erscheinen in nicht wenigen Fällen bedroht. »Sie wollen dich kaputt machen« sagt Ali zu seinem, das er in einer Schuhschachtel versteckt. Er verspricht ihm, es zu beschützen. »Die Wahrheit ist nicht immer die Schönste« spricht aus dem Off die Stimme eines Mädchens aus Bremen (meistenteils sei sie geradezu »widerwärtig«). Tierärztin möchte sie werden. Was aber, wenn ein Tier in Not geräte und gleichzeitig ein Freund ihre Hilfe brauchte? Es gäbe dann kein richtiges Handeln. So hat sie sich entschlossen, auf Freund:innen in ihrem Leben zu verzichten. Heil ist keine dieser Kinderwelten.
Wo Klang sich im Musiktheater nicht gegen das Visuelle stellt, läuft er Gefahr im Unterbewussten zu versanden. Dem entgehen auch die sechs Filme nicht. Vor dem Filmbild verflüssigt sich die Musik stellenweise zum Soundtrack, obwohl sie verdient hätte, bewusster gehört zu werden. Die Live-Aktionen, gestaltet von Kindern und Instrumentalist:innen, fangen das dann wieder auf. Ihre visuellen und klanglichen Erinnerungsmotive holen Bilder und Klänge des Films zurück.
Die sechs filmischen Kinderportraits bleiben in beiden Städten die selben. Jeweils drei verknüpfen sich in jeder Stadt unmittelbar mit dem Ort, an dem man sie sieht. Die Live-Aktionen unterscheiden sich als solche in beiden Städten nur unwesentlich, verändern mit unterschiedlicher räumlicher Platzierung aber ihren Charakter. Die Flächen von flirrendem Goldpapier – sie verweisen aufs Filmwesen im Schuhkarton – wirken lebensfroh im Gelsenkirchener Sonnenschein, magisch im Bremer Fußgängertunnel.
Das kurze Finale, in dem die Live-Kinder mit dem Publikum interagieren, fand in Bremen in der Theateratmosphäre der dortigen Brauhaus-Bühne statt. Buntes Licht illuminierte unregelmäßig platzierte Knautschsessel. Hatte man in Gelsenkirchen seinen Weg als einer der ersten beendet, traf man im oberen Foyer des MiR auf dreißig in strenger Reihe ausgerichtete Feldbetten, als wäre Beuys wieder geboren, um die Wandfläche Yves Kleins zu kontrapunktieren. Die Irritation, »was hier eigentlich Theater ist und was vielleicht ganz einfach so zur Welt gehört« (Bremer Kreiszeitung) wurde hier nicht aufgelöst, sondern symbolisch noch einmal überhöht beim weiten Blick durchs Glasfenster auf Gelsenkirchen als Fundstadt. Wenn dreißig Personen dann aufgereiht auf den Feldbetten lagen, erschienen sie wie Verwundete in einem Lazarett. Als Ärzte erschienen über ihnen Kinder. Man blickte vom Feldbett zu ihnen herauf und die Kleinen waren plötzlich die Großen. Der Reihe nach widmeten sie sich jedem Patient, indem sie durch einen Handspiegel hindurch einen Blick mit ihm tauschten.
NOperas! setzt sich zur Aufgabe, Formen und Wege eines neuen Musiktheaters ins Stadttheater zu bringen. Noch immer ist der dortige Betrieb aber allein auf die klassischen Musiktheater-Erzählformen eingerichtet. Die Interviews in Wiebke Pöpels filmischer Dokumentation des letzten NOperas!-Projekts illustrieren auf schöne Weise nicht nur die Irritationen, die dies für beide Seiten, Stadttheater und Akteur:innen der Freien Szene, immer neu mit sich bringt, sondern auch gleichzeitig die Notwendigkeit zu gegenseitigem Anpassen und Voneinanderlernen. Wie soll man es zu einer Zusammenarbeit von Orchestermusiker:innen und Kindern bringen, wenn die Orchestergewerkschaft nur Arbeitszeiten erlaubt, wo Kinder entweder in der Schule oder zum Schlafen im Bett sind? Vor diesem Problem stand »Fundstadt«. Zu entsprechenden Diensten kann niemand verdonnert werden. Gelingen kann alles nur durch individuelle Überzeugungsleistung und Bereitschaft zu großzügigem Vorbeilavieren an den bestehenden Regeln.
Bei der Hauptprobe in Bremen gestern fanden viele der im Stadtraum postierten Musiker:innen und Kinder, nur ein so verwundertes wie gleichzeitig verständnisloses Publikum zufälliger Passant:innen. Bei der Abfolge von Fotos, die dem eigentlichen Testpublikum auf seinen Tablets als Wegweiser dienen sollten, hatte sich ein Fehler eingeschlichen – mehr als die Hälfte irrte schon bald an den Stationen vorbei orientierungslos durch die Stadt. Im Theater hält man sich in solchen Situationen an den festen Glauben, es stelle kein gutes Omen für die Premiere dar, wenn Abschlussproben zu glatt laufen. Bis um Vier in der Nacht wurde an den Tablets dann getüftelt, heute bei der Generalprobe fanden alle den Weg. Die goldene Erscheinung, die mir im Fußgängertunnel begegnete, drängte mich gegen die Wand und informierte mich dann (mit Kinderstimme): »Ich weiß alles, ALLES über dich!«. Alles wirklich? O Gott! Wenig beruhigend war dann auch die weitere Auskunft: »Du wirst eines SEHR grausamen Todes sterben!« Das Goldwesen, sagte mir Uta Plate dann, indem sie ihren Korrekturzettel zückte, sei nicht instruiert gewesen, mich so alptraumartig zu adressieren. Ich riet ihr, nicht einzuschreiten. Auch für meine Begleiterin hatte die Tunnelsibylle nichts Schönes parat: »Du wirst morgen früh deinen Kaffee verschütten!« Unglück bleibt jedenfalls relativ! Für morgen bleibt vor allem zu hoffen auf Wechsel der Bremer Novembertemperaturen.
»Fundstadt« ist mitten im Endspurt und »Freedom Collective« nimmt Fahrt auf. Häufig finden sich im Mai oder Juni zwei Produktionsteams des feXm am gleichen Haus. Während HIATUS auf der Probebühne des MiR arbeitet, finden ein paar Räume weiter die Abteilungen zum ersten Gespräch mit den Leuten von »Freedom Collective« zusammen. Heinrich (Regie) und Magdalena (Bühne) waren noch gestern in Bremen, nächste Woche folgt Darmstadt. Das Publikum, so die Idee, soll sich während der Aufführung frei bewegen können. Jede der Bühnen bietet dabei andere Zwänge, jede auch andere Möglichkeiten. Von überall soll indessen gleich gut gehört werden – Aufwand für die Tonabteilungen zeichnet sich ab. Dazu kommt die Herausforderung des Smartphone-Netzes, das zusätzlichen Input zum Bühnengeschehen liefert. Die Orchesterbesetzung ist inzwischen fixiert. Die finale Festlegung der Stimmfächer steht nun an. Alle Häuser sollen die Gesangsparts möglichst aus eigenem Ensemble besetzen können, Gäste schlagen aufs Eigenbudget des Produktionsteams. Teamintern ist dabei Inszenatorisches mit Musikalischem abzugleichen. Davor (Komposition) antwortet aus Lyon, wo er die erste seiner zwei Wochen am GRAME (Générateur de ressources et d’activités musicales exploratoires) verbringt und bereits mit der Arbeit an der Ebene elektronischer Zuspielungen beschäftigt ist.
Fundstadt geht in den Endspurt. Als eine »urbane Topographie zweier Städte aus der Perspektive von Kindern aus sozial unterschiedlichen Verhältnissen« hat das Produktionsteam dieses Projekt bei der Bewerbung damals beschrieben. Mit jeweils drei Kindern aus Gelsenkirchen und Bremen wurde und wird weiterhin intensiv künstlerisch gearbeitet. Sie alle haben inzwischen ihr eigenes mit wesenhaften Zügen ausgestattetes »Ding« erfunden, das ihren Angaben gemäß in den Werkstätten nun gebaut wird. Sie alle haben gemeinsam mit musikalischen Pat:innen aus den jeweiligen Orchestern darüber hinaus das ihrem Ding zugeordnete »Dinglied« komponiert, das von Instrumentalist:innen der Orchester in unterschiedlichen kammermusikalischen Besetzungen nun als Tonaufnahme eingespielt wird. Jedem der Kinder wird auf dem Weg, den das Publikum zurückzulegen hat, eine eigene Station gewidmet sein. Die sechs Kinder selbst, ihre Dinge und Dinglieder werden Bestandteile des digitalen Geschehens sein, man via Tablets an diesen Stationen für sich abruft. Begegnen wird man unterwegs immer wieder auch musiktheatralen Live-Aktionen, für die sich weitere Kinder und weitere Orchestermusiker:innen zusammengefunden haben. Eines der sechs Filmkinder ist Jason. Folgende Mail schrieben Hiatus an die Gelsenkirchener Interpret:innen seines Dinglieds:
»Liebe Mariana Hernández González,
lieber Istvan Karacsonyi, Gioele Coco, Rainer Nörenberg, Uwe Rebers,
ihr seid das DINGLied-Ensemble von Jason, wir freuen uns, Euch erleben zu dürfen! Jasons Wesen ist ein Geschöpf von einem anderen Planeten, der aus rotem Sand besteht. Es hat vier Hände, zwei menschliche, zwei Krebsscheren, und auf dem Kopf trägt er nochmals Knochen, um vor Angriffen geschützt zu sein. Es kann Wände hochgehen und kopfüber an der Decke laufen, es kann sich groß und klein machen, Blitze schießen. Es isst am liebsten stinkende Socken. Im Film erschafft Jason quasi seine eigene Welt. Er beginnt in einem leeren weißen Raum und richtet seinen Arbeitsplatz in einer Garage ein, baut sein eigenes Sonnensystem. Eines Tages kommt er zurück zu seinem Atelier in der Garage und findet es verwandelt vor. Dort erscheint ihm sein Wesen. Jason weiß nicht, ob sich seine Welt in seiner Abwesenheit selber weitergebaut hat und so das Wesen entstanden ist, oder ob das Wesen heimlich weitergebaut hat. In dem letzten Musiktreffen mit Jason haben wir mit Hilfe von Jasons fantastischen »Musik-Paten« Istvan Karacsonyi den Grund für Jasons DINGLied gelegt. Mit den neun Planeten unseres Sonnensystems hat Jason Musik-Patterns erfunden. Außerdem gibt es Vertonungen von Istvan von den Superkräften des Wesens (Bsp. siehe Anhang). Die Musik wird sich analog zu Jasons Filmgeschichte nach und nach aufbauen.«
Zu Jasons Dinglied hat Duri Collenberg eine Spielpartitur entwickelt, deren unterschiedliche Stimmen dem Schreiben angehängt sind – untenstehend hier: die Noten der 1. Oboe.
lebt in London als zweisprachiger Schriftsteller , der sich auf Gedichte, Essays und Opernlibretti konzentriert. Er hat zwei Gedichtbände in Kroatien veröffentlicht (»Listing Things« 2013, »Dropdown Menu« 2015) und wurde mit zwei Opern am Royal Opera House in London, Großbritannien, aufgeführt (»Colony« 2015, »Greenland« 2015). Aleksandar hat einen MA in Opera Writing an der Guildhall School of Music and Drama in London erworben und wurde mit zwei Lyrikpreisen ausgezeichnet – dem Ulaznica-Preis (Serbien) 2011, und dem Fernando-Pessoa-Preis (Kroatien) 2012.
ist Komponist, Performer und Improvisator. An der Universität Wien studierte er Komposition bei Chaya Czernowin, Karlheinz Essl und Clemens Gadenstätter. Er beschäftigt sich experimentell mit dem Bau einzigartiger neuer Instrumente. Im Zentrum seiner Arbeit steht Komposition und Praxis des performativen Musiktheaters. Seine Werke werden von wichtigen Ensembles und Musiker:innen aufgeführt. Als Komponist und Musiktheaterregisseur wurden Chernyshkovs Stücke u. a. an der Staatsoper Hamburg, dem Stanislavsky Elektrotheatre in Moskau, dem Teatro alle Tese in Venedig, auf den Musiktheatertagen Wien und beim Steirischen Herbst in Graz gespielt.
wurde 1983 in Zagreb geboren. Nach seinem Kompositionsstudium in Graz und Stuttgart spezialisierte er sich auf elektronische Musik am IRCAM und promovierte schließlich an der Stanford University (USA) in der Klasse von Brian Ferneyhough. Seine Kompositionen wurden von renommierten Ensembles aufgeführt. Im Jahr 2014 rief er das internationale Festival für zeitgenössische Musik Novalis im kroatischen Osijek ins Leben, für das er noch heute als künstlerischer Leiter arbeitet.
www.db-vincze.com
Das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen wurde von den Musiktheaterregisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski gegründet. Sie arbeiten seit 2012 künstlerisch und strategisch zusammen. Beide studierten Opernregie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. In ihrer Arbeit mit dem Kollektiv streben sie ein bewegendes, zeitgemäßes, grenzüberschreitendes und genreübergreifendes Musiktheater an. Die enge gemeinsame Arbeit mit den Musikern Roman Lemberg und Louis Bona, der Dramaturgin Maria Buzhor, den Sängerinnen Angela Braun und Vera Maria Kremers, den Schauspieler:innen Gina-Lisa Maiwald, Thorbjörn Björnsson und Günter Schanzmann, dem Videokünstler Martin Mallon, den Bühnen- und Kostümbildner:innen Christina Schmitt, Yassu Yabara und Günter Lemke sowie einem dichten Netzwerk von Opernsänger:innen und Musiker:innen führte zur Entwicklung einer eigenwilligen, wilden, performativen und unverwechselbaren Theatersprache. Das Kollektiv arbeitet ortsspezifisch, mit dem Ziel, die Besonderheit der Orte durch das Setting der Aufführung zur Geltung kommen zu lassen und sie zugleich durch die Arbeit der Bühnenbildner:innen auch zu verwandeln.
www.hauen-und-stechen.com
(they/them/she/her/he/him)
ist Regisseur:in, Choreograf:in und Schauspieler:in. Heinrich Horwitz studierte Schauspielregie und Choreografie an der HfS Ernst Busch Berlin. Sie realisierte Produktionen in der freien Szene, an verschiedenen Stadttheatern und in der Szene der Neuen Musik. Seit 2017 arbeitet Heinrich Horwitz kontinuierlich mit dem Ensemble Decoder zusammen. Außerdem als Choreograf:in mit Sarah Nemtsov, Carola Schaal, Alexander Schubert, Ensemble Garage, Lux NM und der Kuratorin und Dramaturgin Elisa Erkelenz. Neben der Regie und Choreografie arbeitet Heinrich kontinuierlich auch als Schauspieler*in an Theater, in Film und Fernsehen.
www.heinrich-horwitz.com
Seit über zwanzig Jahren kreieren Oblivia Performances aus Bewegung, Tanz, Sprache, Klang, Licht und Gesten. Das Kernteam von Annika Tudeer und Timo Fredrikson wurde im Laufe der Jahre durch zahlreiche Partner:innen, Kollaborateur:innen oder neue Kompaniemitglieder erweitert oder angepasst, die sich dem künstlerischen Netzwerk von Oblivia in unterschiedlicher Nähe oder Regelmäßigkeit anschließen. Mit Werken wie der »Entertainment Island«-Trilogie, der aus fünf Stücken bestehenden »Museum of Postmodern Art«-Serie oder dem »Nature Theater of Oblivia« war die Kompanie in ganz Europa auf Tournee.
ist Gründer, Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des No Borders Orchestra, ein junges Spitzenorchester, das sich aus Musiker:innen der ehemaligen jugoslawischen Staaten zusammensetzt. Er hat Dirigieren bei Prof. Winfried Müller an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin studiert und nahm an Interpretationsworkshops führender Dirigenten wie Simon Rattle, Pierre Boulez oder Nikolaus Harnoncourt teil. Premil Petrović gehört zu den führenden Musikerpersönlichkeiten in seiner Heimat Serbien. 1996 gründete er das Musiktheater im Cinema REX, einer der wichtigsten und politisch aktivsten Veranstaltungsorte Belgrads in den neunziger Jahren. Neben dem klassischen Orchesterrepertoire widmete er sich zahlreichen Uraufführungen zeitgenössischer Musik. Er wurde mit dem Hanns-Eisler-Preis für Komposition und Interpretation zeitgenössischer Musik ausgezeichnet. 2015 erschien die erste CD des No Borders Orchestra unter der Leitung von Premil Petrović bei der Deutschen Grammophon.
www.premilpetrovic.com
ist eine in Berlin lebende Komponistin, Performerin und Klangkünstlerin. Ihre Arbeiten konzentrieren sich auf verschiedene Ausdrucksformen, die sowohl musikalische als auch performative Elemente, Licht, bildende Kunst und andere Medien einbeziehen. Seit sie nach Europa gekommen ist, arbeitet sie intensiv mit dem menschlichen Körper und Objekten als kompositorischem Material, wobei sie ein großes Interesse an der Körperlichkeit der Performance hat. Zhao studierte Komposition am CCOM Beijing, an der HMDK Stuttgart und an der Musik-Akademie Basel sowie szenische Komposition an der ABPU Linz, wo sie auch unterrichtete. Sie hat mit zahlreichen Künstlergruppen und Festivals in Europa, Asien und Nordamerika zusammengearbeitet. www.yiranzhao.net
Bereits seit Oktober steht das Projekt für die Spielzeit 2023/24 fest, jetzt endlich nun auch sein definitiver Titel – »Freedom Collective«. Seit Dezember entsteht der genauere Handlungsentwurf. Für seine kompositorische Vorstudie (noch unter dem Titel »XinSheng«) erhielt Davor Vincze gemeinsam mit Rama Gottfried und Andrés Nuño de Buen am vergangenen Wochenende nun den jährlich vergebenen renommierten Stuttgarter Kompositionspreis. Mehr als 150 Kompositionen waren als Bewerbungen eingereicht worden. Die drei Preisträgerstücke, die beim Abschlusskonzert des Stuttgarter Eclat-Festivals zur Uraufführung kamen, hätten unterschiedlicher kaum sein können – Nuño de Buens Gitarrenquartett: sparsam, zurückgenommen, fast schon hermetisch; Gottfrieds »Scenes from the Plastisphere«: verspielt und offen in der Form; »Xinsheng«: kulinarisch, raffiniert, mit klanglicher Delikatesse und großer Geste, die sich des Opernhaften nicht scheut. Das Ensemble Mosaik spielte in der Besetzung Klarinette, Cello, Keyboard, Schlagzeug und (ja, dieses Instrument gibt es wirklich:) E-Zither; Nina Guo sang. Reichlicher Applaus im ausverkauften Saal. Wir erwarten mit Spannung den weiteren Fortgang.
Musiktheatersparten sind hochspezialisierte Betriebe, eingerichtet in all ihren Abläufen auf die klassische Opernform. Jede NOperas!-Produktion sorgt da erst mal für Herausforderungen und am schwierigsten können die werden, wenn sie das Orchester betreffen. Kinder sollen in »Fundstadt« gemeinsam mit Orchestermusiker*innen Kompositionen erarbeiten, morgens aber sind Kinder in der Schule, abends schlafen sie, nachmittags hingegen, so will es die Gewerkschaft, dürfen Musikerinnen und Musiker, selbst wenn sie wollten, nicht zur Arbeit herangezogen werden. Nach längerem Tauziehen ist nun auch dieses Problem vom Tisch. Auch stehen nun die Mitwirkenden beider Orchester.
Während zweier Workshops in Gelsenkirchen und Bremen rekrutierten HIATUS schon im vergangenen Jahr die sechs Kinder, um deren Leben, Träume, Hoffnungen und selbstkomponierte Orchestermusik sich »Fundstadt« dreht. Während an der Theateraktion andere Kindern beteiligt sein werden, tauchen diese sechs selbst fürs Publikum nur auf den Zuspielungen der Tablets auf. In einer zweiten Workshop-Phase ging es nun nicht allein darum, in die Lebenswelten dieser sechs »Filmkinder« einzusteigen. Uta Plate und Duri Collenberg schreiben:
»Unser Aufenthalt in Gelsenkirchen und in Bremen während der letzten zwei Wochen war vorwiegend von den Begegnungen mit Menschen geprägt, mit denen wir für »Fundstadt« in die künstlerische, inhaltliche Arbeit eintauchen werden, zum Teil auch schon sind.
o Die Kinder: Wir besuchen alle sechs Filmkinder einzeln, sie führen uns bei einem langen Spaziergang durch ihren Alltag. Dieser führt von Familie zu Schule, von Religion zu Freizeit, von Sichtbarem zu Imaginiertem.
o Die Musiker*innen: Es gibt ein erstes persönliches Gespräch mit Kolleg*innen der Bremer Philharmoniker und der Neuen Philharmonie Westfalen. Im März beginnt die Entwicklungsarbeit der Musik, es gilt viele Wege zu erproben, um von Klangvorstellungen der Kinder zu einer von Orchestermusiker*innen umsetzbaren Form zu kommen. Die beteiligten Instrumentalist*innen sollen von nun an in diesen Prozess mit eingebunden sein.
o Die Menschen rund ums Theater in Bremen und Gelsenkirchen: Mit dem Filmer Aaike Stuart besuchen wir Orte, zu denen uns die Spaziergänge mit den Kindern geführt haben. Es gibt erste Tests von Filmsets, kleine Testdrehs mit den Kindern. Für die Route unseres Walk finden wir dann Orte in der Nähe des Theaters, die als »Stationen« des Audio-Video-Walks repräsentativ für die Alltags- und Fantasieepisoden der Filmkinder sind. Dabei kommt es zu spontanen, wunderbar zugewandten Treffen mit Anwohner*innen, Tankstellenbesitzer*innen, Garageneigentümer*innen, Leiter*innen von einem Altenheim, deren Beteiligung die Vielfalt der Stationen des Walks und der Filmaufnahmen bereichern wird.«
Freie Theater- und Musiktheaterensembles arbeiten in Deutschland meist unter prekären Bedingungen. Bei den vorhandenen Förderinstitutionen hangeln sie sich von einem Projektantrag zum andern. Selten ist die Finanzierung dann hoch genug, um am Ende mehr als zwei oder drei Aufführungen zu erlauben. Arbeitsaufwand und Vorstellungszahl stehen dabei in kaum sinnvollem Verhältnis und manch ein Projekt hätte es mehr als verdient, eine größere Zahl an Zuschauer:innen zu erreichen.
Dass es auch anders geht, zeigen die Niederlande und Belgien. Wer Förderung dort erhält, erhält sie über mehrere Projekte hinweg, ist also strukturell abgesichert und kann längerfristiger planen. Geförderte Gruppen spielen ihre Stücke nicht nur wenige Male am Premierenort, sondern touren mit ihnen über die vielen Bühnen des Landes, da diese anders in Deutschland nicht mit eigenen Ensembles bestückt sind.
Das hat Auswirkungen auf die ästhetischen Formen, die Musiktheater dort annimmt. Schließlich müssen Projekte nicht nur vor einer kleineren Ingroup, wie sie in Deutschland normalerweise die Zuschauerschaft bildet, funktionieren, sondern vor der weit größeren Gruppe eines zwar interessierten, keineswegs aber aufs Zeitgenössische spezialisierten Publikums. Ein weitaus größeres Publikum als hierzulande wird dabei andererseits dort mit neueren Spielformen des Musiktheaters sozialisiert.
Die Zusammenarbeit mehrerer Bühnen im Rahmen des NOperas!-Programms versucht Synergien zu stiften, die das Dilemma hiesiger Förderstrukturen ein Stück weit ausgleichen. Allerdings wandern Produktionen dabei nicht als abgeschlossene Projekte von einer Bühne zur anderen, sondern finden hierbei gleichzeitig die Chance zur Weiterentwicklung. Wie sehr sich das lohnen kann, war bereits letzten Sommer bei der Bremer Weiterentwicklung von »Kitesh« zu erleben und nun auch jetzt bei der zweiten Station des »Obsessions«-Projekts in Wuppertal.
Maßgeblich für die veränderte Bühnenwirkung, die »Obsessions« in Wuppertal nun bekommen hat, ist der vergrößerte Raum, in dem die Einzelperson mit ihren Aktionen isolierter und deshalb hervorgehobener erscheint. Größer ist in Wuppertal gleichzeitig auch die räumliche Distanz zum Publikum. Das lässt die Bühnenaktion um vieles bildhafter als in Bremen wirken.
Auf jeweils neue Weise füllen die in Wuppertal dazugekommenen Performer:innen das in Bremen entwickelte und von dort übernommene Grundkonzept. War es in Bremen dabei noch leicht, Schauspieler:innen, Sänger:innen und die Mitglieder des Oblivia-Ensembles hinsichtlich der Art und Qualität ihrer jeweiligen Körperaktion zu unterscheiden, fügen sich die Performer:innen nun zu einem sehr viel geschlosseneren Ensemble, das auf homogener gemeinsamer Grundlage arbeitet.
Oblivias Arbeitsmethode ähnelt in manchem derjenigen von Pina Bausch, und auch wenn dieses choreografierte Theater ein ganz anderes ist, bei der Premiere scheint sich Wuppertal an alte Tage zurückerinnert zu haben. Es gab großen und anhaltenden Applaus.
An der Oper Wuppertal geht »Obsessions« nun in die zweite Runde. Letzte Woche gab es die Bauprobe, heute begann die Arbeit mit den Solist:innen, Premiere ist am 3. Dezember.
Zu »bauen« gab es eigentlich nichts auf der Bauprobe – gespielt wird auf leerer Bühne. Gemäß dem Ursprungskonzept sollte Wuppertals Drehbühne ein wesentliches Element der Aufführung sein, nach der Überflutung des Opernhauses im vergangen Jahr bleibt sie aber noch auf längere Zeit nicht einsatzfähig. Wie schon in Bremen sind auch hier die Instrumentalist:innen ins Bühnengeschehen integriert: In Bremens kleinem Haus mussten sie links an der Seite sitzen, hier, auf der großen Bühne, ergeben sich andere Möglichkeiten, mehrere wurden nun optisch und akustisch erprobt.
Aus dem Bremer Ensemble ist Matthieu Svetchine mit an die Wupper gekommen. Außer ihm und den Akteur:innen von Oblivia handelt es sich um neue Akteure:innen. Die mehrteilige Form, die das Projekt sowohl musikalisch als auch theatral in Bremen angenommen hat, dient in Wuppertal nun als grundsätzliches Raster, das durch eigenen Input der Wuppertaler Performer* neu zu füllen ist. Auch für die Neuen geht es also nun darum, aus der improvisatorischen Beschäftigung mit dem Thema »Obsessions« indidividuelle Theateraktionen herzuleiten.
Um nur eine »Neueinstudierung« kann es sich schon wegen der ganz anderen Dimensionierung des Bühnenraums nicht handeln. Wuppertals Bühne ist nun nicht nur um vieles breiter, sondern auch ebenso viel tiefer, was, anders als in Bremen, nun unter anderem auch ein Denken in den Kategorien von Vorder- und Hintergrund nahelegt. Zwar ist die Zahl der Instrumentalist:innen gewachsen, die der Performer:innen bleibt aber gleich – viel weniger geht der Einzelne in diesem größeren Raum in der Gruppe auf, Einzelaktionen werden also hervorgehobener, exponierter erscheinen.
Yran Zhao hat ihre Komposition auf die größere Besetzung hin umgearbeitet und dabei gleichzeitig ein neues Notationssystem geschaffen. Durch flexiblere Anweisungen soll sich die musikalische Ausführung stärker noch als in Bremen ans Szenische anpassen lassen.
Je über fünf Tage arbeiteten HIATUS im Oktober mit Gruppen von Kindern aus Bremen und Gelsenkirchen an der Entwicklung von »Klang-Bild-Ideen«. Als eigenständige, in sich abgeschlossene Events angelegt, dienen diese Workshops in einem zweiten Schritt jetzt der Auswahl und Rekrutierung von je drei Kindern aus jeder der Städte, die dann auch im Zentrum der Aufführung von »Fundstadt« stehen sollen. Eng ist nach der Methode von HIATUS das Finden und Erfinden von Klängen ans Visuelle und Bildnerische, konkret dabei am MiR zunächst an ein »Finden von Gesichtern« gekoppelt. Hier dokumentieren HIATUS ihren Gelsenkirchener Arbeitsprozess:
»Mit folgender Frage gehen wir ins Feld: In welcher Form können wir die Möglichkeiten der Musik als Arbeits- und Experimentierraum zur Verfügung stellen?«
Und damit konkretisieren sich erste Co-Kompositionsmethoden mit Kindern. Im Workshop beginnt das Forschen der Kinder mit drei Schwerpunkten:
Am Ende der Workshop-Woche finden die Aufführungen unserer »Wesenslieder« an unterschiedlichen Orten rund ums MiR statt, die diese drei Aspekte in Form einer Klangperformance zusammenführen. Dahin führt das »Pareidolie-Spiel«, ein über zwei Tage angelegter Prozess. Im ersten Schritt ziehen die Kinder los und finden im öffentlichen Raum »Gesichter« von Wesen in Gebäuden, Bäumen, Verkehrsschildern, etc. An diesen Orten machen sie Tonaufnahmen, die die Umgebungsgeräusche und einige ortsspezifische auffällige Geräusche einfangen. Zudem bespielt jedes Kind den »Wesensort« wie ein Instrument (z. B. im Kies scharren, ans Garagentor klopfen etc.). Mit all diesen Aufnahmen bauen wir pro Wesen ein Sampler-Instrument: Pro Tastendruck auf einer kleinen Klaviertastatur ertönt jeweils ein anderer Sound.
Unser gemeinsamer Ausgangspunkt, im öffentlichen Raum »Gesichter von Wesen« zu finden und denen dann über Geräusche Ausdruck zu geben, führte die Kinder zur Möglichkeit, mit einem Sampler zu experimentieren und ihre eigenen Aufnahmen als Bausteine zu »instant compositions« zusammenzuführen.
Am letzten Tag performen die Kinder mit dem Sampler an ihren »Wesensorten«. Wir erleben unterschiedliche Aufführungen:
Jedes Jahr zeigen die Bewerbungen bei NOperas!: Die freie Szene quillt über von Ideen für ein neues Musiktheater. Vor allem immersive Konzepte haben unter den Bewerbungen derzeit Konjunktur. Viele der eingereichten Projekte hätten es auch in diesem Jahr verdient gehabt, den Weg ans Stadttheater zu finden. Mit der Entscheidung hat sich die Jury entsprechend auch diesmal schwer getan. Nach einer zusätzlich anberaumten (und also dritten) Jurysitzung steht das Projekt für die Spielzeit 2024/24 nun fest: Es trägt den Arbeitstitel »XinSheng«. Zum Produktionsteam gehören Davor Vincze (Musik), Aleksandar Hut Kono (Text), Heinrich Horwitz (Regie), Magdalena Emmerig (Bühnenbild), Premil Petrović (mus. Leitung), Therese Menzel (Produktionsleitung).
Das chinesische Wort xīn shēng (新生) weist in die Assoziationssphäre von Regeneration und neuem Leben. Hier steht es für eine fiktionale Droge, die Zuwachs an Energie im Konkurrenzkampf verspricht, jedoch verschwiegene Nebenwirkungen besitzt und zu einem verfrühten Tod führt.
»XinSheng« ist ein intermediales Projekt, in dem das Live-Element von Bühnenaktion auf gleichberechtigter Ebene durch digitale Medien ergänzt wird. »Das Stück«, so heißt es in der Bewerbung, »möchte das Publikum für einen halb verträumten, unheimlichen Zustand sensibilisieren, in dem alles verworren, lose definiert und leicht widersprüchlich ist«. Im Zentrum soll die Frage stehen, auf welche Weise wir aus einem Übermaß fragmentierter und dabei oft widersprüchlicher Informationen »Realität« konstruieren. Zum genaueren Verständnis der Handlung soll das Publikum auf den Einsatz von Smartphones angewiesen sein – nicht jeder und jede soll hier aber auf gleiche Informationen stoßen.
Davor Vincze ist Träger mehrerer Kompositionspreise. Seine Musik wird von wichtigen Ensembles für zeitgenössische Musik (u.a. Ensemble Modern, Ensemble Intercontemporain, Klangforum Wien) aufgeführt. Analog der visuellen Ebene sollen sich auch auf der musikalischen Live-Performance, reale Instrumente im Moment der Hervorbringung von Klang, und »elektronische« aus dem Bereich digitaler Zuspielung mischen.
Aleksandar Hut Kono veröffentlichte zwei in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens mit mehreren Preisen ausgezeichnete Lyrikbände. Mit Libretti für den US-amerikanischen Komponisten Evan Kassof sammelte er zudem Erfahrung im Feld des Musiktheaters.
Mehrere Arbeiten führten Heinrich Horwitz (they/them/she/her/he/him) als Choreograf:in und Regisseur:in bereits mit renommierten Komponist:innen und Musikensembles zusammen. Zuletzt verantwortete er im Rahmen der diesjährigen Ruhrtriennale mit Sarah Nemtsov und Rosa Wernecke das Musiktheater »HAUS«. Kontinuierlich arbeitet er als Schauspieler:in daneben in Theater, Film und Fernsehen.
Typisch fürs Aufbrechen herkömmlicher Berufsfelder im Feld neuen Musiktheaters führt Magdalena Emmerigs Arbeit übers Gebiet ihres Studiums als Kostüm- und Bühnenbildernerin hinaus. In Videoarbeiten und Performances beschäftigt sie sich mit dem theatralen Potential digitaler Medien und mit den Bildern von Geschlecht und Weiblichkeit. Als Teil der Gruppe »THE AGENCY« arbeitet sie an immersiven Theaterinstallationen.
Premil Petrović ist künstlerischer Leiter des von ihm 2012 gegründeten No Borders Orchestra. Seine erste Aufnahme mit dem NBO ist bei Universal Music/Deutsche Grammophon erschienen.
Der Fonds Experimentelles Musiktheater freut sich auf dies neue Team!
Am 13. September tagte die feXm-Jury. Ort war die Kunststiftung NRW in Düsseldorf. Neu in der Runde war nicht nur das Staatstheater Darmstadt, sondern auch das Expert:innenteam aus Susanne Blumenthal, Rainer Nonnenmann und Moritz Lobeck. Sechsunddreißig Bewerbungen waren im Vorfeld zu begutachten (im Jahr davor waren es neunundzwanzig). Fünf Finalistinnen standen nach einem langen Tag fest. Wie immer hätte man gern einige mehr in die engere Wahl gezogen. Diese sind eingeladen nun zu einem vertiefenden Gespräch mit der Jury am 26. September im NRW KULTURsekretariat.
Unter den bisherigen NOperas!-Projekten ist »Kitesh« das aufwendigste. Wie in Halle waren jetzt auch in Bremen, das in dieser Saison gleich zwei NOperas!-Produktion im Spielplan hat, alle Abteilungen mit intensiver Arbeit beteiligt. In kluger Berücksichtigung, dass »Kitesh« nun anderthalb Jahre »lag«, legte Bremen auf die vereinbarte Probenzeit zusätzliche zehn Tage drauf. All der Aufwand, zeigt die Premiere, hat sich gelohnt.
Immer noch besteht »Kitesh« aus drei Teilen. Einem im Stadtraum (das Publikum ist in Gruppen aufgeteilt), einem im Foyer (jeder geht seinen eigenen Weg) und einem dritten in der traditionellen Situation der Guckkastenbühne. Ein bewaffneter Hunnensturm im Parkett und wilde Fluchten in den Rängen lassen einen allerdings selbst da nicht wirklich zur Ruhe kommen.
Durch eine erfolgreiche Inszenierung können im Opernbetrieb ganze Generationen von Sänger:innen geschleust werden. Hauptaufgabe jedes Regieassistenten, der jeweiligen neuen Besetzung Wege und Aktionen zu zeigen, die von anderen entwickelt und einstudiert worden sind. Ein Regisseur legt es deshalb besser nicht darauf an, seine Arbeit allzusehr von äußerer Erscheingung, Persönlichkeit und Individualität seiner Premierenbesetzung abhängig zu machen. »Hauen und Stechen« haben sich einen Namen gemacht mit einem Konzept, das genau umgekehrt funktioniert und den Sängerdarsteller befreit aus dem Marionettendasein. Mit der weitgehend neuen Bremer Besetzung ist dabei ein neues Stück mit veränderten Figuren, Charakteren und Schwerpunkten entstanden.
»Kitesh« in Halle war ein Spektakel aus noch grob behauenen Bausteinen, Improvisationslust flickte, was eher noch unfertig war. Kaum einer beschwerte sich, dass er der Handlung kaum folgen konnte – das Spektel wog das auf. In Bremen jetzt waren feinere Linien gezogen, die manchen interpretatorischen Eingriff in Rimskis Oper verständlicher machten und ihrer verschwurbelten Vertröstung aufs Jenseits eine neue und verblüffende Lesart abgewannen.
Rimskis Kitesh-Oper kam 1916 zur Uraufführung, im selben Jahr wie Schönbergs Kammersinfonie. Sie hat vielerlei berückend schöne Stellen, ist an anderen aber kaum frei von folkloristischem Kitsch. Wagemutig, sie einfach herunter zu instrumentieren, wo doch vor allem im Zauber der Orchesterfarben Rimskis vielgerühmte Stärke zu liegen scheint. Ich meinte in Halle meine Meinung bestätigt, dass das kaum gutgehen kann. In Bremen jetzt hörte ich es anders. Von allem Wabern befreit und eingebettet in die zeitgenössischen Klänge Alexander Chernikovs, tritt nun vor allem Rimskis melodischer Erfindungsgeist zu Tage. Seine Musik wirkt zitathaft oder als Folklore, kaum aber folkloristisch mehr.
Präziser geworden ist auch die Ausarbeitung des fast ununterbrochenen Doppelgeschehens von Bühnenaktion und gleichzeitiger Vergrößerung szenischer Details durch die Beobachtung einer Live-Kamera. Beim Untergang Kiteshs greifen versinkender Graben und drüberprojizierter Film jetzt so ineinander, dass Ahs und Ohs aus dem Publikum zu hören sind.
Der Andrang auf »Kitesh« war groß und so verkaufte Bremen für die folgenden Vorstellungen zusätzliche Karten, trotz des Gedränges, das für den ersten Teil dabei in Kauf zu nehmen war.
Eine Windmachine brachte noch in der Hauptprobe eine rote Fahne zum Wehen. In der Hauptrobe hat sie ihre Farbe gewechselt. Was 2020 in Halle ging, geht plötzlich nirgendwo in Europa mehr. Es gibt Leute, die meinen, man solle derzeit keine Stücke russischer Komponisten spielen. Sie zu spielen, erscheint im Gegenteil nun wichtiger als bisher.
Das Gelände des Blickfelder-Festivals liegt im Freien am sogenannen Turbinenplatz direkt hinter dem Züricher Schiffbau. Trotz des Festivals sind an diesem Sonntag nicht viele hier unterwegs. Ein Platz im Schatten erscheint den meisten erstrebenswerter als die Teilnahme an einem Stadtraumprojekt, das in der sengenden Hitze die Züricher Hügel hinauf und hinunter führt. »Du kommst an zwei Brunnen vorbei, nimm trotzdem genug Wasser mit!« lautet die Instruktion. Und auf geht’s zu einer audio- und videogesteuerten Schnitzeljagd, die infamerweise gleich zweimal die Limmat entlang führt, wo halb Zürich im Fluss gerade Abkühlung findet.
»Vier Viertel« handelt von der Erfahrungswelt von Kindern aus vier unterschiedlichen Züricher Stadtvierteln und dient gleichzeitig der Vorbereitung von »Fundstadt«, also des NOperas!-Projekts, das im kommenden Sommer in Gelsenkirchen und Bremen zur Aufführung kommt.
Für ihren Audio-und-Video-Walk haben HIATUS ein audiovisuelles Leitsystem erfunden, das auch später in »Fundstadt« zu Einsatz kommt. Erst bin ich genervt, wie kompliziert es ist, die ganze Montur umzuschnallen: eine Verbindung aus Tablet, Kopfhörer, Cape und Kapuze. Schnell beginne ich dann zu begreifen, wie ausgeklügelt sie ist. Nicht vor Regen, sondern vor Hitzeschlag schützt mich an diesem Tag die Kapuze. Wo’s zur Überquerung von Straßen kommt, sagt mir das Tablet, dass ich die Kopfhörer absetzen soll.
Vier Züricher Kinder lerne ich kennen auf dem Weg durch die vier Züricher Viertel. Höre ihre Stimme. Höre ihre Musik. Sehe sie als Personen in gespenstischer Weise auf dem Tablet in eben der Szenerie erscheinen, an der ich grad Halt mache.
Vier Viertel, das bedeutet einen ungefähr einstündigen Weg durch unterschiedliche Züricher Milieus. Kommt es mir zu unrecht so vor, als ob selbst die zwei toughesten Mädchen im Züricher Wunderland ein immer noch aufgehobeneres Leben führen als vielleicht doch einige Mädchen in Gelsenkirchen?
»Vier Viertel« ist ein schöner und inspirierender Ausgangspunkt fürs Nachdenken und weitere Diskutieren über »Fundstadt«, ein Projekt, das anders als dasjenige in Zürich auch die Live-Aktion von Theater einschließen soll. Gelsenkirchen und Bremen sollen miteinander kurzgeschlossen werden. Wie aber zeigt man Gelsenkirchen in Bremen und umgekehrt? Und wie kann man gleichzeitig daran festhalten, die Kinder in jeweils »ihrem« Milieu zu zeigen? Was tritt an die Stelle des einsamen Züricher Schnitzeljagd-Abenteuers, wenn bei »Fundstadt« dann ganze Besuchergruppen gemeinsam auf den Weg geschickt werden?
Noch stehen wir mit »Fundstadt« ganz am Anfang.
NOperas! startet eine neue Projektausschreibung. Die fünfte – und also die zweite innerhalb einer zweiten Dreijahresstaffel.
Neben Gelsenkichen und Bremen ist als drittes Haus nun Darmstadt an Bord. Ein wichtiges Haus in der deutschen Musiktheaterlandschaft, das immer wieder durch Wagemut und besondere Projekte auf sich aufmerksam macht.
Ziemlich holperige und verschlungene Wege ist NOperas! bisher gegangen.
»Chaosmos«, das erste Projekt, fand zur Premiere in Wuppertal. Proben zur Weiterführung, die später in Halle begannen, mussten wegen des Lockdowns dann abgebrochen werden. Alles weitere verlagerte sich von der Bühne ins Digitale und »Chaosmos« mutierte zu einem interaktiven Filmprojekt, das seinen Ort dann auf den Webseiten der beteiligten Theater fand.
Deutschlands Bühnen hatten erneut geöffnet, als »Kitesh« in Halle dann an den Start ging. Hygieneauflagen verkomplizierten die Proben. Es kam zu einer sehr erfolgreichen Premiere, aber wegen Erkrankungen war aber schon die zweite Vorstellung von kurzfristigen Umbesetzungen bestimmt. Weitere wurden dann krank, die dritte Vorstellung musste abgesagt werden.
Corona machte die Theater in dieser Zeit inzwischen zu einem Verschiebebahnhof, in dem Züge ständig die Gleise wechseln, anstatt irgendwann loszufahren. Wuppertal und Bremen mussten die Weiterentwicklung von »Kitesh« aufschieben. Dann trat die Wupper über die Ufer, flutete den Wuppertaler Orchestergraben, ruinierte die technischen Anlagen und vielerlei teure Musikinstrumente. Wuppertal stand im Wortsinn das Wasser bis zum Hals und sagte »Kitesh« ab. Mit einer Verzögerung von anderthalb Jahren steht nun allein noch eine zweite Entwicklungsstufe in Bremen an.
Derweil kam es in Halle zu anderen Schwierigkeiten. Vorzeitig wechselte die Intendanz und vorzeitig schied Halle deshalb aus NOperas! aus. Wie an »Kitesh« waren jetzt auch an »Obsessions« nur noch zwei Häuser beteiligt.
Mit der vergangenen Ausschreibung begann 2021 die zweite Dreijahresstaffel. Gelsenkirchen trat an die Stelle Wuppertals. In Zeiten, in denen sich die meisten Bühnen durch Repertoire-Renner wie »Carmen« und »Zauberflöte« zu retten versuchten, fand sich fürs Ausscheiden von Halle aber kein schneller Ersatz. Von vorneherein war diese Ausschreibung deshalb nur auf zwei Städte (neben Gelsenkirchen weiterhin Bremen) bezogen.
Sechs Wochen wird die derzeitige Ausschreibung laufen. Mit Darmstadt ist erneut nun ein hochkarätiges drittes Haus beteiligt. Kirsten Uttendorf, Darmstadts Operndirektorin, managte längere Zeit die Akademie Musiktheater Heute (AMH), ein Förderprogramm der Deutsche-Bank-Stiftung für den Musiktheaternachwuchs. Viele nahmen an ihm teil, die inzwischen mit zur Créme der freien Musiktheaterszene gehören.
Unter Mühen hat es NOperas! gerade also zurückgeschafft zu seinem Ausgangsmodell. Werden wir in ruhigere Fahrwasser geraten? Für die Kultur stehen die Zeichen in Deutschland auf Sturm. Wohl wird es manches an weiterem Durchhaltevermögen brauchen.
Fünf Wochen wurde in Bremen gearbeitet. Ein Stück ist entstanden, das in gleichberechtigter Weise von der Persönlichkeit jedes Beteiligten zehrt. Ein Stück, in dem jeder mit Hauptdarsteller:in ist.
Ein Ensemble noch dazu ohne Aufgabenteilung. Alle singen, spielen und sprechen. Dass man durchaus erkennt, wer hier Sänger:in, wer von Profession Schauspieler:in ist und wer zum Kollektiv von Oblivia gehört, verstärkt nur den Eindruck gegenseitiger Annäherung in der gemeinsamen Grenzüberschreitung.
Noch nach der Generalprobe schlug Covid zu, Timo Fredriksson von Oblivia verbringt die Premiere in Quarantäne. Bei einem Stück, das aus der Persönlichkeit jedes Beteiligten schöpft, ist eigentlich niemand ersetzbar. Alice Flerl, Dramaturgin von Oblivia, die in Bremen anders als in anderen Produktionen eigentlich nicht selbst mit auf der Bühne stehen sollte, springt ein, übernimmt die von ihm entwickelten Aktionen. Anders geht’s nicht, wenn die Premiere nicht platzen soll.
Yiran Zhao hat die Proben begleitet, Anregungen aus instrumentalen Improvisationen aufgegriffen. Eine Musik ist entstanden, die in jedem Moment der Szene dient, sich gar manchmal zurücknimmt hinter die Aktion der Performer:innen, nie aber die Komplexität zeitgenössischer Klangsprache aufgibt und zuletzt ohne Dirigenten nicht auskommt. Nicht durchzuhalten war deshalb zuletzt die Idee, auch die Instrumentalist:innen in die Szene mit einzubeziehen. Nur am Ende des Stücks werden sie selbst mit zu Akteur:innen.
Wer improvisiert braucht etwas, worüber er improvisiert. Themen sind für Oblivia dabei vor allem Mittel zum Zweck. Das szenische Material, das seinen Ausgang in einem kollektiven Improvisieren über Obsessionen nahm, lässt seine Herkunft später nicht immer erkennen, kann sich ins Abstrakte verwandeln, weil beim Zusammenfügen am Ende allein Form und szenischer Rhythmus zählen. Wohl haben Ankündigungstexte bei manchem im Publikaum da falsche Erwartungen geweckt. »Es hat mir gefallen, aber eigentlich hab ich nichts verstanden«, sagt nach der Premiere einer. »Gab’s denn da was zu verstehen?« antwortet seine Begleiterin. Ihr Blick, der sich dem Bild hingab und in der Aufführung keine Geschichte suchte, war ganz sicher der angemessenere.
Langer Beifall. Viele im Bremer Publikum haben an diesem Abend ihr Verständnis dessen, wie viele unterschiedliche Wege Musiktheater heute einnehmen kann, erweitert.
Im Oktober soll es weitergehen in Wuppertal. Zunächst Workshops für Musiker:innen und Sänger:innen. Premiere dann Anfang Dezember. An der szenischen Großstruktur, die in Bremen gefunden wurde, soll in Wuppertal festgehalten werden. Alles weitere – auch die Musik – wird mit neuen Beteiligten auch neue Gestalt annehmen. Oper, Schauspiel und Tanz stehen in Wuppertal unter getrennter Intendanz. Spartenübergreifend zu arbeiten, schien da anders als in Bremen zunächst unmöglich zu sein. Dem Einsatz der Wuppertaler Musiktheaterleitung ist zu verdanken, dass nun trotzdem auch Mitglieder des dortigen Schauspiels sowie Tänzerinnen und Tänzer des Pina-Bausch-Ensembles dabei sind.
2023 – 2027
Das Staatstheater Darmstadt ist ein Mehrspartenhaus mit Musik- und Tanztheater, Schauspiel und Konzert. Hier arbeiten mehr als 500 Mitarbeiter:innen vor und hinter den Kulissen, um in jeder Spielzeit zahlreiche Produktionen – von Schauspiel und Konzerten über Ballett und Tanztheater bis hin zu Musicals, Opern und Operetten – auf die verschiedenen Bühnen im Haus und in der Stadt zu bringen. Daneben laden Führungen, Einführungen, Gesprächsformate und Workshops zu Austausch und Kontakt. Seit 1972 sind das Land Hessen und die Stadt Darmstadt Träger des Staatstheaters. Dessen Neubau durch den Architekten Rolf Prange gehörte bei seiner Eröffnung zu den prägenden Theaterbauten der 1970 Jahre.
2022 – 2025
Das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, kurz: das »MiR«, gilt seit seiner Eröffnung 1959 als eines der herausragenden Theater der Nachkriegszeit. Seit der Spielzeit 2008/09 steht es unter der Leitung von Generalintendant Michael Schulz. Das MiR zeigt pro Saison bis zu 20 Produktionen. Gelsenkirchens Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik und zeitgenössischem Musiktheater reicht zurück bis in die 1970er Jahre zum von Carla Henius geführten »Studio für experimentelle Musik«. Neben dem klassischen Repertoire von Oper, Operette und Musical und eigenen Produktionen mit Bezug zur Region widmet sich das MiR bis heute eingehend auch den Formen zeitgenössischen Musiktheaters. Mit Kötter/Seidls Projekt »ingolf« war das MiR bereits in der Spielzeit 2016/17 Partnertheater des Fonds Experimentelles Musiktheater.
2019 – 2025
Das Theater Bremen ist ein Stadttheater mit überregionaler Bedeutung. Es umfasst vier Sparten: Musiktheater, Schauspiel, Tanz und Kinder- und Jugendtheater mit den vier Spielstätten Theater am Goetheplatz, Kleines Haus, Brauhaus und Brauhauskeller. In jeder Spielzeit stehen mehr als 30 Premieren mit 600 Vorstellungen auf dem Programm, aber auch Konzerte und Partys. In den Einführungen zu den Stücken, Publikumsgesprächen nach den Vorstellungen und Gesprächsreihen wird der direkte Dialog mit den Zuschauer*innen gesucht.
2019 – 2022
Seit mehr als hundert Jahren blickt die Oper Wuppertal baulich wie auch künstlerisch auf eine wechselvolle Geschichte zurück. »Oper im Bewusstsein der Lebenswelt des 21. Jahrhunderts zu machen – das ist unser Anspruch«, so Intendant Berthold Schneider. So führt z. B. das von der Oper Wuppertal veranstaltete Festival »Sound of the City« Oper und Musikszene der Stadt zusammen. Bestätigt wird das hohe künstlerische Niveau des Ensembles u. a in den jährlichen NRW-Kritikerumfragen der Welt am Sonntag, wo die Oper Wuppertal wiederholt Nominierungen in den Kategorien »beste Inszenierung«, »bestes Opernhaus«, »beste Sänger und Dirigenten«, sowie »bestes Orchester« erhielt. Seit der Spielzeit 2017/18 ist die international gefragte Dirigentin Julia Jones Generalmusikdirektorin der Oper Wuppertal.
2019 – 2021
Unter dem Leitungsteam von Florian Lutz und Michael von zur Mühlen bildete die Oper Halle eines der experimentierfreudigsten Opernhäuser Deutschlands. Ihre Beteiligung an der ersten Dreijahresstaffel von NOperas! endete vorzeitig mit dem Weggang von Florian Lutz ans Staatstheater Kassel nach den Produktionen »Chaosmos« und »Kitesh«.
Wenn Oblivia sich einem neuen Projekt widmen, steht zunächst ein vereinbartes Thema im Raum, alles weitere wird dann vom ersten Moment an in gemeinsamem Improvisieren entwickelt. Die szenische Arbeit an »Obsessions« nahm ihren Anfang während der vergangenen Monate. Zwei der Beteiligten leben in Berlin und Essen, die anderen in Helsinki. Zwar improvisierte man gemeinsam, war aufgrund der Reisebeschränkungen nur aber übers Internet miteinander verbunden. Innerhalb einer lockeren Workshop-Atmosphäre begann in Bremen nun das Improvisieren mit den hiesigen Sänger:innen und Musiker:innen. Auch für Oblivia bedeutete dies unerkundetes Neuland. Die Herausforderung einer Stückentwicklung, an der neben den Akteur:innen der Gruppe selbst zum ersten Mal nun auch weitere Personen beteiligt sind, führte zu einem Kompromiss mit der bisherigen Arbeitsweise. Intern hatte man bereits das grundsätzliche Raster einer übergreifenden Stückstruktur erarbeitet, in Bremen nun ging es um eine Annäherung an die für Sänger:innen und Musiker:innen offen gehaltenen Freistellen. Nicht mit allen Sänger:innen und schon gar nicht allen Orchestermusiker:innen ist ist eine solche Arbeit möglich. Das Theater Bremen hat klug disponiert. Alle zeigten sich hochmotiviert, neue Wege zu betreten und sich als nicht nicht nur Interpret:innen und Ausführende, sondern Mitschaffende – auf das Abenteuer dieser Stückeintwicklung einzulassen.
Duri Collenberg studierte an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Klavier in der Klasse von Hans-Jürg Strub und Komposition bei Mathias Steinauer. Im Sommer 2010 schloss er sein Klavierstudium ab und studierte von 2011 bis 2015 Komposition am Conservatorium van Amsterdam bei Willem Jeths und Wim Henderickx. Am Theater Chur war er bei zwei Produktionen als musikalischer Leiter/Komponist engagiert: «LA MÜDADA» (Premiere 1. Oktober 2020) und «NOTLÖSUNG» (2014). Mit dem Künstlertrio «frölicher | bietenhader | collenberg» bespielt er regelmässig Orte unterschiedlichster Art – ein Reservoir, ein Silo, einen Bergeller Wohnpalast etc. – in eng verwobenen Bild/Ton-Installationen. Er ist Gründungsmitglied des «Kukuruz Klavierquartetts», einer Gruppe für experimentelle Konzert- und Theatermusik, die eine rege Konzerttätigkeit in In- und Ausland pflegt – dies sowohl in als auch bewusst neben den bewährten Tempeln der Hochkultur. Das Quartett war und ist bei Produktionen mit den Regisseuren Ruedi Häusermann («PIANOFORTE») und Boris Nikitin («24 BILDER PRO SEKUNDE») auf verschiedenen europäischen Theaterbühnen zu erleben.
Lukas Rickli arbeitet als Pianist im Feld der zeitgenössischen Musik, der Improvisation und der Theatermusik. Lukas Rickli ist Gründungsmitglied des Zürcher «Kukuruz Klavierquartett» (Auftritte u.a. an der «documenta 14» in Athen). In der Theaterwelt ist er sowohl in der freien Szene (z.B. mit Boris Nikitin an den Wiener Festwochen) als auch am Stadttheater aktiv (z.B. in Chur: «LA MÜDADA» (2020) mit Uta Plate, in Zürich «PIANOFORTE» mit Ruedi Häusermann). Lukas Rickli hat an der Hochschule für Musik in Basel im Hauptfach Klavier bei Jean-Jacques Dünki und im Nebenfach freie Improvisation bei Fred Frith und Alfred Zimmerlin studiert. Kompositionsunterricht bekam er von Jakob Ullmann. Er lebt mit seiner Familie in Basel.
Uta Plate ist Theatermacherin, Dozentin, Regisseurin. Nach ihrem Studium der angewandten Kulturwissenschaften (Universität Hildesheim) wurde ihre Publikation «FREMD BLEIBEN» über interkulturelle Theaterarbeit veröffentlicht. Von 1999-2014 war sie leitende Theaterpädagogin an der Schaubühne Berlin. Seit 2014 arbeitet Uta Plate international als freischaffende Regisseurin und Dozentin. Ihre Schwerpunkte sind: intergenerative Projekte («LEBEN LÜGEN STERBEN», Theater Neumarkt, Schweiz, 2014, Film: «WIR SIND GESTERN HEUTE MORGEN», Theater Strahl. Berlin, 2020) Arbeit mit sozial benachteiligten Gruppen (Theater im Knast, Neuseeland, 2016), site specific-Projekte («A WAY», Aarhus, Dänemark, 2016), dokumentarisches Theater («YOUTH MEMORY», Deutsches Theater Berlin 2015 / «HIER.STEH.ICH.», Deutsches Theater Berlin, 2017 / «30.nach.89.», Deutsches Theater Berlin, 2019) Projekte mit Jugendlichen («GET UP STAND UP», Bürgerbühne Dresden, 2017), Theaterarbeit mit Geflüchteten und Einheimischen («SERVUS SALAM», Residenztheater München, 2017) Bürger*innentheaterprojekte («SCHÖNE NEUE WELT: FAMILIE 2.0», Schauspielhaus Graz, Österreich, 2019, «LA MÜDADA», Theater Chur, Schweiz, 2020) Zudem lehrt sie als Dozentin an den Universitäten Berlin, Gießen, Hildesheim, Hannover, Kopenhagen (Dänemark) und Ouagadougou (Burkina Faso).
Dreijahres-Zyklen sollen es sein, zu denen sich die an NOperas! beteiligten Theater verpflichten. Der erste von ihnen geht mit dieser Saison zu Ende. Gemeinsam mit den beteiligten Häusern manövriert sich dabei auch NOperas! immer noch mühsam durch den corona-veranlassten Verschiebebahnhof der Theaterspielpläne. Wäre es sinnvoll gewesen, etwas mehr Luft in die Sache zu bringen, für eine Saison kein neues Projekt auszuschreiben, den zweiten Zyklus um ein Jahr zu vertagen? Als einziges Förderinstrument im deutschsprachigen Raum, das sich explizit auf neuere Spielformen des Musiktheaters richtet, ist NOperas! eine wichtige Anlaufstelle für die Arbeit der freien Szene – auszusetzen hätte bedeutet, dieser Szene in einem Moment die Stütze zu entziehen, in der viele ihrer Akteur:innen infolge des vergangenen Theaterlockdowns noch immer in ihrer Existenz bedroht sind.
Interessant bleibt: Verstärkt wurde die diesjährige Ausschreibung dann von Newcomer:innen genutzt, während manch etabliertere Player der Szene signalisierten, sie säßen selber noch immer auf zu vielen verschobenen Projekten, um sich derzeit neuen Zielen widmen zu können.
Kaum wurde es für NOperas!-Jury dadurch aber einfacher, zuletzt eine und nur eine Produktion auszuwählen unter den vielen Bewerbungen, die auch in diesem Jahr eine Förderung verdient hätten. In der Öffentlichkeit entsteht immer wieder das Missverständnis, dass feXm und NOperas! der Idee eines Wettbewerbs folgen, die Jury ihre Projektauswahl also mit dem Statement verbindet, es handele sich um das »beste« all der eingereichten Konzepte. Nicht umsonst sind an diesem Gremium neben unabhängigen Expert:innen aber auch Vertreter:innen der ausführenden Theater beteiligt. Auch Erwägungen, die an an deren jeweiliger Spielplankonzeption ausrichten, fließen in die Projektwahl also immer mit ein.
Sechs Finalist:innen waren für den 30. September nach Düsseldorf eingeladen, um sich Rückfragen zu ihrer Bewerbung zu stellen. Am Ende des Tags war sich die Jury noch immer nicht einig und so fiel die Entscheidung erst während eines zusätzlichen Treffens am 11. Oktober.
Das erste Projekt der neuen Dreijahresstaffel wird eine (einstweilen noch unbenannte) Produktion der schweizerisch-deutschen Gruppe HIATUS sein. HIATUS sind: der Komponist Duri Collenberg, der Improvisationsmusiker Lukas Rickli und die Theatermacherin Uta Plate – mehr über sie bald auf dieser Webseite.
Im Zentrum ihres Projekts, das Elemente eines Audio- und Video-Walks mit der Theateraktion von Sänger:innen und Instrumentalist:innen verschmilzt, steht das Erleben, Denken und Fühlen einer ausgewählten Gruppe von Kindern mit Herkunft aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Am eingereichten Konzept beindruckte die Jury sowohl der Anspruch, den beteiligten Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, als auch der, die musikalische und theatrale Arbeit mit ihnen zu einem ambitionierten Theater für Erwachsene zu machen. Ein dialektisches Spiel, das Erwachsene zurückführt in ein früheres Dasein elementarer Konflikte, Wünsche und Hoffnungen. Eine Erinnerung könnte von ihm ausgehen an unsere Verantwortung für diesen bedrängten Planeten, den wir den Jüngeren bald zu übergeben haben.
Im Rahmen der Produktion ist eine Kooperation mit dem Züricher Festival Blickfelder geplant. So soll in Zürich zunächst eine Fassung zur Aufführung kommen, die sich auf die digitale Ebene von Audio- und Video-Zuspielungen beschränkt und erst im Zuge der Weiterentwicklung in Gelsenkirchen und Bremen dann durch theatrale Aktion erweitert wird.
Berthold Schneider und sein Team von der Oper Wuppertal gehen durch schwere Zeiten. COVID zwang sie seit Mai zur Einstellung des Spielbetriebs und also erneuten Verschiebung von Proben und Premieren. Gerade nun hatte man neu geplant – da kam im Juli die Flut. Wer Wuppertal kennt, weiß wie nah die Oper am Fluß liegt: Das Hochwasser ist in den unteren Bereich des Opernhauses eingedrungen, es hat den Orchestergraben überflutet, eine Vielzahl von Instrumenten beschädigt. Der entstandene Schaden wird inzwischen auf eine Summe von rund 10 Millionen Euro geschätzt. Frühestens im Dezember soll die Bühne wieder bespielbar sein. Wenig Trost spendet da, dass die Oper Wuppertal für ihr künstlerisches Programm wenige Tage vor der Flut zu einem der elf Preisträger des Theaterpreises des Bundes gekürt wurde – ein weiterer ist das Schlosstheater Moers, das 2017 und 2018 François Sarhans mehrteilige feXm-Produktion »The Suitcase« präsentierte.
Vom Wuppertaler Hochwasserdesaster ist leider auch das NOperas!-Projekt »Obsessions« betroffen. Selbst wenn im Dezember wieder gespielt werden könnte, wird es weit länger dauern, die Schäden an der Untermaschinerie zu beheben. Länger noch muss dabei auch noch unsicher bleiben, ob im kommenden März zur geplanten Wuppertaler Premiere von »Obessions« die Drehbühne wieder zur Verfügung steht, die für dies Projekt unerlässlich ist. Wenn irgend möglich soll der Termin trotzdem gehalten werden. Begonnen hat deshalb die Suche nach einer Ausweichspielstätte im weiteren Umfeld der Stadt.
Mit der ersten Aufführung von »Chaosmos« feierte NOperas! im Januar 2020 in Wuppertal seine erste Premiere. Mit Gruseln redete man in den Kantinen damals über ein seltsames Virus, das sich in China verbreitet hatte, und war noch überzeugt, man befände sich in sicherer Entfernung. Schnell stellte sich das dann als Irrtum heraus und schon bald nachdem NOperas! an den Start gegangen war, war das Theater nicht mehr dasselbe. Corona also ist ungefähr gleich alt wie NOperas!, blieb seitdem ungebetener Begleiter dieses Förderprogramms und zwingt es bis heute immer neu auf improvisierte Wege.
Zur geplanten Weiterentwicklung von »Chaosmos« auf Theaterebene kam es nicht, Proben in Halle hatten begonnen und mussten abgebrochen werden. Wie so oft in der vergangenen Zeit stand dann am Ende ersatzweise ein Film, den Bremen und Wuppertal auf ihren Webseiten präsentierten.
Unter angespannten Bedingungen fand im Herbst 2020 dann »Kitesh« in Halle zu einer ersten Aufführung. Aber auch hier legte das Virus sich quer. Nur eine weitere Vorstellung gab es, die dritte konnte aufgrund veränderter Hygienebestimmungen nicht stattfinden.
Nach ausgiebiger konzeptioneller Vorarbeit zur Wuppertaler Fassung von »Kitesh« sah sich die Oper Wuppertal dann zu einer kompletten Absage gezungen – der Lockdown hatte die geplanten Aufführungen im Januar verhindert, »Kitesh« war zunächst in den Mai verschoben worden, konnte aber auch da weder geprobt noch gespielt werden, zu einer nochmaligen Verschiebung sah sich das Haus außerstande. Bremen dagegen hat »Kitesh« nun in die kommende Spielzeit gerettet, wo es nun nach (!) der dortigen Premiere des neuen NOperas!-Projekts »Obsessions« weiter erarbeitet und aufgeführt werden soll.
Mit einem kleinen digitalen Feuerwerk, das noch einmal zusammenfasst, was im Rahmen dieses Programms trotz allem entstanden ist, verabschieden sich NOperas! und Partnertheater derweil in die Spielzeitpause:
Als Ersatz für die angekündigten Aufführungen präsentiert die Oper Wuppertal auf ihrer Webseite einen im Rahmen von »Kitesh« entstandenen Kurzfilm – in ihren Theaterproduktionen arbeiten Hauen und Stechen auf vielfältige Weise mit filmischem Material, und hier ist es nun umgekehrt: eine filmische Arbeit, die ausführlich Material des Theaters in sich aufnimmt.
Nach dreieinhalb Jahren wagemutiger Musiktheater-Erkundungen nimmt gleichzeitig das Hallenser Leitungsteam um Florian Lutz nun seinen Hut, indem es zum Abschluss ein Festival mit dem Titel »Alles endet« veranstaltet. Unter musikalischer Live-Begleitung von Marc Sinan kommt es dabei zu einem Public Viewing des »Chaosmos«-Films auf dem Vorplatz des Hallenser Opernhauses. Die Veranstaltung wird gleichzeitig aus einem fürs Festival geschaffenen »virtuellen Opernhaus« gestreamt. Für beides siehe Kalender.
Als Video on Demand ist während des Festivals neben dem Kurzfilm, den auch die Oper Wuppertal präsentiert, noch eine zweite filmische Auseinandersetzung des Produktionsteams mit dem Thema Kitesh abzurufen. In Kürze wird sie auch auf dieser Webseite zu finden sein, Chaosmos – Der Film« findet sich einstweilen hier, »Kitesh / Kurzfilm« hier.
Jüngst beim Zoom-Symposium der Austrian Music Theatre Days wurde NOperas! als ein Wettbewerb vorgestellt. Das kann man so sehen, entspricht aber kaum dem Selbstverständnis dieses Programms. Kaum liegt der Akzent darauf, jedes Jahr irgend ein »bestes« Musiktheaterprojekt ins Licht zu stellen, geschweige denn »Gewinnerin« oder »Gewinner« zu küren. Viele Bewerbungen hätten den Zuschlag jedesmal verdient, für mehr als je eine Produktion reichen aber weder die Mittel des feXm, noch die Kapazitäten der beteiligten Theater.
Schneller und intensiver mussten sich die Juror:innen in diesem Jahr an die Auswertung eingegangener Projektvorschläge machen. In einer ganzen Reihe von ihnen spiegelt sich diesmal der aktuelle Diskurs um Diversität und Machtverteilung im Theater. In größtenteils neuer Besetzung (→ s. Seite Jury) hat via Zoom gestern die erste Jurysitzung stattgefunden. Fünf Projekte schafften es unter die Finalisten.
Tua Helve schreibt:
»Nachdem wir gerade unsere letzte Obsessions-Probezeit Mitte Mai beendet haben, wollte ich diesen Blogeintrag der Zeit widmen. Zeit – Überfluss und Mangel daran!
Bei der Aufführungspraxis geht es jedoch nicht nur um Zeit, sondern auch und vor allem um Zeit im Verhältnis zu dem, was um sie herum, mit ihr, geschieht. In Paul Allains Vorwort zu »The Art of Rehearsal. Conversations with Contemporary Theatre Makers« (2017, herausgegeben von Barbara Simonsen) ist das Wort »time« mit den zwei anderen Woten »team« und »trust« verwoben. Diese »drei T« werden von den interviewten Theatermachern als »fundamental« bezeichnet. Diese drei »T« – Zeit, Team und Vertrauen – sind auch der Arbeitsweise von Oblivia immanent.
Als ich noch einmal darüber nachdachte, wurde mir klar, dass Vertrauen für mich die Zeit und das Team einschließt; das Team lässt Vertrauen entstehen; das Team muss der Zeit vertrauen. Um dies zu beleuchten, die »Grundlagen« der Arbeit mit Oblivia, wählte ich Schnappschüsse aus dem laufenden Prozess von Obsessions:
Schnappschuss 1: Vertrauen – Punkte auf dem Papier werden zu einer Performance – siehe die Zeichnung oben.
Schnappschuss 2: Zeit – zum Herumalbern (und) um ernsthaftes Material zu schaffen – Annika und Timo bei Eskus.«
Schnappschuss 3. Team – immer mit an Bord – Annika im Chat mit Meri (Brüssel), Alice (Düsseldorf) und Yiran (Stuttgart/Berlin) via Zoom, Anski bei der Vorbereitung der Aufnahme der Proben.«
Annika Tudeer schreibt:
»Verschiedene Arten des Schreibens. Jede Menge Schreiben. Schreiben als Teil des wachsenden Verständnisses dessen, womit wir es zu tun haben. Hier sind einige Beispiele. Die berühmten Listen an der Wand in der Phase des Materialsammelns, aber auch einige kompliziertere zugrunde liegende Texte.
Im Prozess der ›Obsessions‹ haben wir neue Seiten aneinander gesehen. Tua Helve entpuppt sich als der Dichter im ›on the spot‹-Prozess des Schreibens, den wir zusammen durchlaufen haben.«
Tua Helve
Obsessions haikus and tankas
My obsessions linger between
exhaustion and
how did they say it
Luke-warm intensely nothing
Inconvenience in a lame way
Show myself in a
new font round but light
Read me this way as I feel
Why does it become
so pathetic so easily so
Why where is the joy the strength
the busy prickliness and breeze
Tease out the marvel and bow
Obsession I pity you
you bore me we travel and die
unpack iron clean and go
Exercise, excel
ex All obsessions marching by
Change me if you can
Cherry-cake fake flight
quiver in the springy fresh air
Fair enough, faint away
Do your trick and don’t come back
Rain down now, then dance
Passion Fashion Wine Sex Lust
Looks Appearances Flashy Mag Girl
Never stop More Always More
Doesn’t go further why so Stop
Must be broken the system sucks
Länger noch wird um die Weiterentwicklung von „Kitesh“ alles still stehen. Unentwegt geht es um das Projekt »Obsessions« in Helsinki dabei schon zur Sache . Heute veröffentlicht Alice Flerl auf Oblivias Webseite den ersten Eintrag ins neue »Produktions-Tagebuch«:
»Von unserer ersten Online-Probenzeit Anfang Dezember 2020. Da zu dieser Zeit keine Reisen oder Treffen möglich waren, arbeiteten die meisten von uns von zu Hause aus, einige waren manchmal im Studio. Jeder von uns hat sich an jedem Tag eine Aufgabe für die anderen ausgedacht, die wir am nächsten Tag gemeinsam bearbeiten würden.«
Aufgabe:
Antworten (von Meri):
»Materialien wie diese«, schreibt Alice, »wurden bei der nächsten Online-Probe im Januar 2021 zur Weiterentwicklung genutzt: zur Erstellung von Klängen, Bewegungen, Ideen für Bühnenbild und Kostüm.«
Zwei Häuser zunächst – ein drittes mag sich im kommenden Jahr dann anschließen – sind in der Spielzeit 22/23 an NOperas! beteiligt. Zum Theater Bremen, das dabei in die Planung seiner vierten NOperas!-Produktion geht, tritt das Gelsenkichener Musiktheater im Revier. Es ist ein sehr guter Bekannter. 2006 realisierte der feXm mit ihm Lucia Ronchettis »Der Sonne entgegen«, 2017/18 dann das fünfteilige Projekt »ingolf« von Daniel Kötter und Hannes Seidl. »ingolf #3«, in dem es keine anderen Akteure:innen als die Besucher:innen selbst gab, tourte später durch mehrere freie Spielstätten Deutschlands und findet sich immer noch hier auf Youtube.
Überall herrscht Produktionsstau. »Kitesh« musste in Bremen auf die folgende Spielzeit verschoben werden, in der auch »Obsessions« dort zur Premiere kommen soll. Länger haben wir diskutiert, ob NOperas! in dieser Situation überhaupt eine neue Ausschreibung starten soll, bevor alles Aufgeschobene abgearbeitet ist. Die freie Musiktheaterszene aber hat zwei harte Jahre hinter sich. Wenn endlich wieder gespielt wird, muss sie sich neu konsolidieren. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn ausgerechnet in diesem Moment das einzige Förderprogramm, das für sie existiert, für ein Jahr aussetzte.
Corona, soviel erscheint klar, wird uns noch länger in Atem halten. Mit unsicheren Schritten tappt auch der feXm dabei voran ins Jahr Einundzwanzig.
Nachdem auf fast jede erzwungene Verschiebung bislang eine weitere gefolgt ist, fahren fast alle Bühnen nur noch auf Sicht und planen kaum weiter als für die kommenden Tage.
NOperas! muss damit leben – im Januar sollte es eigentlich hochhergehen, Hauen & Stechen und Oblivia wären in Wuppertal aufeinander getroffen. Verschoben aber nun Endproben der einen und erste Workshops der anderen.
Wie wird das Musiktheater aussehen, wenn wir wann auch immer dann wieder Land sehen? Um das Publikum seiner neuen Fixierung auf Netflix zu entwöhnen, wird es Traviatas und Zauberflöten rauf und runter wohl geben. Noch immer trotzdem auch ein paar mutige Experimente?
Das Jahr 2020 hat das Musiktheater auf unvorhergesehene Wege geführt. Viele mündeten im Digitalen, darunter auch die von »Chaosmos«. Nach seiner Premiere auf Nachtkritik ist »Chaosmos – der Film« immer noch hier auf unserer Webseite zu finden. Aufgeteilt auf eine Reihe einzelner Clips, beinhaltet diese filmische Version für jede*n die Möglichkeit, sich eine eigene Fassung zusammenzustellen. Sie ist damit nur eins der vielen derzeitigen Beispiele dafür, wie das Prinzip des Interaktiven, das aus digitalen Medien in den letzten Jahren zunehmend ins Theater eingeflossen ist, nun von Theatermacher*innen gestaltet auf neuen Wegen ins Digitale zurückkehrt.
Ist es die Not geschlossener Spielstätten, die Theatermacher*innen im vergangenen Jahr in den digitalen Raum geführt hat, so plädiert Christian Esch in einem lesenswerten Artikel dafür, dies nicht allein als erzwungenen Rückzug, sondern mit auch als Chance eines neuen Theaters zu begreifen. Büßt das Theater mit dem Verzicht auf leibliche Kopräsenz von Performer*in und Publikum aber nicht genau das ein, was immer seine Besonderheit unter den Künsten ausgemacht hat, den seltsamen Doppelcharakter eines beständig zwischen Illusion und materiell beglaubigter Realität schimmernden Vexierbildes? Es ist eine Art Twist of Mind, in den Performer und Performerin uns auf der Bühne versetzen, und diesen erzeugen sie nur auf der Bühne. Selbst wo der digitale Raum in Realtime funktioniert, die seltsame Doppelrealität des Theaters kann er niemals generieren, weil ihm der materielle Widerpart fehlt, der seine Illusion erdet und konterkariert, um in ein Spiel mit der Infragestellung festgefügter Realitätsauffassungen zu führen. Das »Jetzt« lässt sich vom »Hier« ohne Verlust also nicht absondern. Diese Doppelrealität ist es auch, aus der sich das besondere utopische Potential der Theaterkunst ergibt – ein Ineins und gleichzeitig eine Spannung und Diskrepanz unserer beglaubigten und möglichen weiteren Welten.
Zauberflöte und Traviata dabei hin oder her, es steht zu erwarten, dass auch das Publikum das alles immer noch erfühlt, und dass es uns also zuletzt folgen wird (eher zu unrecht macht sich mancher hierüber Sorgen) bei der Rückkehr in die Spielstätten. Dass die digitale Erfahrung das Theater aber verändert haben wird, daran kann kaum Zweifel bestehen. Kaum wird dies eine Rückkehr sein zum Status Quo ante.
Im Musiktheater ist man es auch bei zeitgenössischen Produktionen noch immer gewohnt, dass Proben allein der Einstudierung dienen. NOperas! aber sieht vor, dass probiert wird, bevor eine fertigentwickelte Vorlage besteht, und dass ein Theaterprojekt (eher um Projekte als um „Stücke“ geht es) selbst erst im Probenprozess Gestalt annimmt.
Eingeräumt ist den Produktionsteams deshalb nicht nur längere Probenzeit als sonst üblich, sondern auch die Möglichkeit, deren Dauer auf getrennte Zeiträume zu verteilen. Nicht alle Teams machen von diesen Optionen Gebrauch – für Oblivia bleiben sie substanziell.
An jedem der beteiligten Häuser sind vor dem eigentlichen Probenzeitraum zunächst zwei getrennte Workshop-Phasen geplant. Eine erste war für den Januar terminiert. Wann sie nun stattfinden wird, steht pandemiebedingt in den Sternen.
Hinzu kommen Probierphasen, die alleine von den Performer*innen der Gruppe bestritten werden. Sie beruhen auf eigenen Improvisationstechniken der Gruppe, durch die das szenische Material entwickelt wird.
Oblivia haben mit dieser Arbeit begonnen. Sie sollte in Oblivias Probenzentrum in Helskini stattfinden. Alice Flerl, deutsches Mitglied der Gruppe, und Yiran Zhao, die ebenfalls in Deutschland lebt, sollten hierzu anreisen. Natürlich konnten sie nicht.
Man improvisiert zusammen jetzt digital – die Finnen in ihrem Studio, die anderen dazugeschaltet via Internet. Wie man Besprechungen über Internetplattformen organisiert, mussten wir alle inzwischen lernen. Aber Impro-Sessions? „I must admit, it’s not easy”, sagt Annika Tudeer.
Die Weihnachtslaune scheint das Oblivia nicht verdorben zu haben.
Bereits bei den Kitesh-Aufführungen in Halle hatten Publikum und Performer*innen mit kalten Füßen zu kämpfen. Eine Einspringerin musste gefunden werden, nachdem eine der Sängerinnen sich bei der Generalprobe schwer erkältete. Sowas ist Alltag im Repertoirebetrieb, immer noch Alptraum aber jeder Uraufführung.
Kalte Füße bekam das Team dann auch, was die für die kälteste Jahreszeit geplante Weiterführung in Wuppertal betraf. Alles wurde mit Blick auf den Januar neu durchdacht. Der Beschluss wurde gefasst, die bisherigen Außenszenen in die Innenräume des Wuppertaler Opernhauses zu verlegen. Die theatrale Durchdringung und Umwertung des Stadtraums – mit eines der stärksten Elemente in Halle – schien ein notwendiges Opfer.
Corona legte dann zusätzliche Hürden. Hygiene-Beschränkungen ließen einen der Innenbereiche nach dem anderen ausfallen. Zu wenige blieben als bespielbar erhalten. Bevor es zu schlimmeren Kompromissen dann aber kam, wischte Corona – Ironie der Pandemie – dann auch den Januar-Termin vom Tisch. Kann, wie überhaupt alles im Theater, auch dieser Zeitraum derzeit noch nicht als endgültig bestätigt gelten, geht doch auf Juni inzwischen die Planung.
Erneut war also umzudenken. Kalte Füße im Juni? Der Stadtraum steht doch also wieder zur Verfügung!
Er ist ein anderer als in Halle und er braucht neue Ideen.
Viele entstanden am 15. Dezember bei der endlich zustandegekommenen genaueren Erforschung des Geländes.
Hat je ein Theaterprojekt so viele erzwungene Konzeptänderungen erlebt?
Jede NOperas!-Produktion stellt die beteiligten Opernhäuser vor ungewohnte Herausforderungen. Dass »Kitesh« da kaum zurückstehen würde, war von Anfang an klar, nicht aber, dass Corona hinzutreten und alles an die Grenze des Machbaren führen würde. Nach anstrengendem Hürdenlauf war’s vergangenen Sonntag doch nun soweit, »Kitesh« hatte Premiere in Halle.
Zwei Aufführungen wurden an diesem Premierentag gespielt. Nur fünfundsiebzig Personen waren als Publikum dabei jeweils zugelassen, dem rauschenden Schlussapplaus war das nicht anzuhören. Nicht nur Hauen und Stechen hat auf letzter Strecke der Vorbereitung Übermenschliches geleistet, auch – mit sämtlichen ihrer Abteilungen – die Oper Halle!
Nach dem Sparprogramm des digitalen Raums, in den sich das Theater in den letzten Monaten zurückgezogen hat, nach all den 19-Zoll-Formaten, in denen es sich seitdem abspielte, erlebt man »Kitesh« als ein zirzensisches Spektakel, das das Publikum heinreißt in die lang nicht mehr erlebte Welt eines überbordenen Totaltheaters und damit als geradezu trotzigen Akt eines Bestehens auf einer Sphäre des Sinnlichen und Unmittelbaren.
Mit dem Verschwinden der unsichtbaren Stadt Kitesh sieht die nmz (Neue Musikzeitung) gleichzeitig »ein Happening über das Verschwinden der Oper zelebriert. Nicht nur des konkreten Werkes vom Anfang des vorigen Jahrhunderts, sondern gleich des ganzen Genres.« Und sie fährt fort: »Was [Hauen und Stechen] an Theaterurgewalt zu entfesseln versuchen, kommt der Kunstwerk-der-Zukunft-Ästhetik nahe, die an der Oper Halle den Diskurs über die Möglichkeiten und Grenzen des Musiktheaters […] kontrovers belebte. Aber diese […] Reihe blieb mit ihren Teilen immer in der ihr angemessenen kleinen Form.«
Nun ist wenigstens Richard Wagner, von dem der Begriff »Kunstwerk der Zukunft« stammt, nicht gerade für seine Bevorzung kleiner Formen bekannt. Stattdessen, so meinte er, ginge es darum, die »Gränzen [sic] zum weitesten Umfang sich ausgedehnt zu denken« (Wagner KdZ, Leipzig 1850, S.33). Man müsse hierzu, »zunächst das Wesen der Kunstarten prüfen, die heute in ihrer Zersplitterung das allgemeine Kunstwesen der Gegenwart ausmachen«, um sie dann zu einem »großen, allgemeinsamen Kunstwerk« zusammenzufassen [Wagner, S.36].
Leicht läßt sich argumentieren, dass das Musiktheater es als Kunstform seit je (und nicht also erst mit Wagner) darauf angelegt hat, sämtliche zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Einzelkünste in sich zu integrieren. Zu überlegen also, ob es an diesem Abend in Halle möglicherweise doch weniger um ein »Verschwinden der Oper« als um eine neue Belebung ihres innersten Ideengehalts ging.
Hier ist der Link zum Artikel der nmz: www.nmz.de/online/todesvogel-und-blubblub-kitesh-an-der-oper-halle
Nicht Poncho noch Schirm konnte zuletzt noch schützen. Ins Wasser gefallen ist die Hauptprobe von »Kitesh« nicht, ziemlich viel Wasser ist aber bei eisiger Temperatur auf sie herabgefallen, bevor der Parcour rund ums Opernhaus ins Trockene dann führte. Nur einhundertundfünf Minuten darf die Aufführung dank Corona dauern. Um circa dreißig Minuten war sie am Ende immer noch zu lang. Kill your darlings! Ein paar schöne Szenen werden das Licht des Theaters nie erblicken. Nur das Versuchspublikum der Hauptprobe wird sich an sie erinnern dürfen, nasse Füße waren dafür kein zu hoher Preis.
»Operation Warp Speed« (Captain Kirk läßt grüßen) heißt seit gestern in den USA die Losung. Auf Teufel komm raus möchte Trump sein Land noch vor der Wahl mit einer Vakzine beglücken. Eine Spur schneller sogar noch zu sein, verspricht Putin, eher im Feld von Giftstoffen gelten seine Labore aber als hinreichend verlässlich.
An den Theatern ist man zurück aus der Sommerpause, zurück damit auch in der Corona-Misere. Gerade weil sich die Situation inzwischen wenig verändert hat, ist sie nicht mehr die gleiche wie vorher. Je länger der Virus uns in Atem hält, desto mehr verändert sich der Blick auf ihn. Und wie man durch Wurmlöcher noch immer nicht reisen kann, sieht es bei alldem nicht aus, als wären wir bald zurück in gesicherteren oder überschaubarer gewordenen Verhältnissen.
Auch im Theater zehrt das inzwischen an den Nerven. Zwischenlösungen reichen nicht mehr aus, wenn die Ausnahme zur Regel geworden ist. Mit seinen notorisch schwerfälligen Strukturen steht vor allem der Musiktheaterbetrieb wie gelähmt vor der Frage, wohin er sich orientieren und wie er planen soll.
Auf diesem unsicherem Terrain tastet sich auch NOperas! voran. Das Wort »Experiment«, das der feXm im Namen trägt, hat ungewollt dabei eine zweite Bedeutung bekommen. Nach »Hauen und Stechen« geht mit Yiran Zhao und der Gruppe »Oblivia« in dieser Spielzeit das zweite vor allem von Frauen bestimmte Team an den Start – über Genderbenachteiligung könnten sich beim feXm höchstens Männer zur Zeit beklagen.
»Obessions« soll, noch ist es länger hin, erste Aufführungen in Bremen haben, das erste Arbeitstreffen führte vergangene Woche trotzdem zunächst nach Wuppertal. Es zu organisieren, war eine Geduldsprobe, ständig gab es weitere Streichungen von Flügen aus Helsinki. Mit weniger Abmachungen in der Tasche als sonst ging man anschließend nach Haus. Die prinzipielle Unsicherheit, unter was für Bedingungen man in einem Jahr Theater spielen wird, hält die Spielplan-Disposition Wuppertals im Schwebezustand. Immerhin, die jüngste Premiere einer »Zauberflöte«, der (abgesehen vom restringierten Kartenverkauf) Corona-Kompromisse weder anzusehen noch anzuhören waren, gibt dort gerade emotionalen Auftrieb: Endlich spürt man wieder einmal Theaterboden unter den Füßen.
Zugleich mit Corona hat man derweil in Halle mit weiteren Erschwernissen zu kämpfen. Nach dem internen Zwist zwischen Intendant und kaufmännischem Leiter sind beide nicht mehr am Haus, kommissarisch wird dieses geführt von Produktionsleiter Maximilian Grafe. »Kitesh« – in seiner umgearbeiteten sogenannten »Corona-Version« – ist nur bedingt von dem allem betroffen und bewegt sich rasch den Endproben entgegen. Der Kartenverkauf für die drei Zweifachvorstellungen im Oktober ist extrem beschränkt. Wer nicht auf die Weiterentwicklungen in Wuppertal und Bremen warten will, sollte schnell jetzt schalten.
Zwei Produktionen sollen im NOperas!-Rahmen parallel immer in Arbeit sein, eine im Stadium der Vorplanung, eine zweite im Stadium von Proben und Aufführungen. Bereits im Sommer wäre nach solcher Planung »Chaosmos« abgeschlossen gewesen. Nachdem Corona aber im Frühjahr zum Abbruch der Proben in Halle führte, Proben in Bremen erst gar nicht beginnen konnten, wird auch an dieser Produktion noch immer gearbeitet. Drei also sind es, mit denen NOperas! gerade jongliert. Wie manches andere Theaterprojekt der vergangenen Saison sattelte auch »Chaosmos« von der Bühne ins Digitale um. Das Material befindet sich in den letzten Schritten der Postproduktion. Noch steht die finale Entscheidung aus, ob es als zusammenhängender Film oder als Sammlung einzelner Clips präsentiert werden wird.
Schon jetzt ist auszumachen, wie sehr Corona das Formenspektrum des Theaters verändern wird.
Aufgrund der Hygienebestimmungen musste »Kitesh« nun komplett neu durchdacht und in wesentlichen Punkten neu konzipiert werden. Nur 75 Zuschauer*innen werden pro Vorstellung erlaubt sein. Statt der ursprünglich geplanten dreistündigen Aufführung wird es an jedem Abend nun zwei Vorstellungen à 1 ½ Stunden geben, so dass wenigstens 150 Personen erreicht werden. Gemeinsam sollte das Publikum durch einen Parcour mehrerer Außenstätten geführt werden, auch das wird aufgrund von Abstandsregeln aber nicht möglich sein. Drei Besuchergruppen werden nun getrennt in jeweils unterschiedlicher Reihenfolge diese Außenstätten durchlaufen. Logische Folgerung: Anstatt nacheinander müssen diese Stätten nun gleichzeitig bespielt werden, wodurch sich der Personalaufwand erheblich erhöht. Mehr Sänger*innen, mehr Musiker*innen, mehr Betreuungspersonal auch wird bei all dem gebraucht sein. Die beteiligten Theater haben diesem zusätzlichen Aufwand zugestimmt. Was sie nicht selbst abfedern können, wird aufgefangen durch den feXm. Kunststiftung und KULTURsekretariat mobilisierten die notwendigen Mittel und erhöhten die Fördersumme um 20.000 Euro. Tatsächlich kommt es ab 6. Juli so zur geplanten Woche an Vorproben, die auch aufgrund sich wöchentlich ändernder Hygieneregelungen vor kurzem noch in Frage gestellt war.
Fünf Bewerber wurden von der feXm-Jury als Finalisten für die dritte Spielzeit des NOperas!-Programms ausgewählt. Am 23. Juni stellen sie sich einem vertiefenden Gespräch mit den Juror*innen im neuen Domizil des NRW KULTURsekretariats. Für die meisten, die hierfür nach Wuppertal kamen, ist es die erste Reise nach längerer Zeit. Jedes Team hatte Gelegenheit, sich vorher mit den beteiligten Bühnen rückzuschließen, um sein Konzept gegebenenfalls weiter zu präzisieren. Bis zum Abend findet die Jury zu keinem eindeutigen Beschluss, ein zusätzliches Treffen (via Internet) für die kommende Woche muss vereinbart werden. Dort dann fällt die Entscheidung. Das Förderprojekt der Spielzeit 21/22 trägt den Name »Obsessions«, das geförderte Team ist das Theaterkollektiv Oblivia gemeinsam mit der Komponistin Yiran Zhao.
Oblivia wurde 2000 in Helsinki gegründet. Europaweit hat sich die Gruppe einen Namen gemacht mit Aufführungen, die sich mit minimalsten Theatermitteln großen Themen stellen. Yiran Zhao kommt aus China, sie hat u.a. bei Carola Bauckholt und Caspar Johannes Walter studiert. Ihre musikalische Arbeit bezieht neben Performativem vielfach auch visuelle Medien mit ein.
Im Rahmen einer ersten gemeinsamen Arbeit mit Yiran Zhao wagten sich Oblivia im vergangenen Februar zum ersten Mal ins Terrain des Musiktheaters vor. »Obsessions« setzt diese Kollaboration fort, bezieht neben den Mitgliedern der Gruppe nun aber auch die Ensembles zweier Stadttheater mit ein. An beiden Bühnen wollen Oblivia mit jeweils anderen Mitteln arbeiten, zwei getrennte Varianten eines theatralen Rundumschlags zum Motiv des Verlusts rationaler Kontrolle sollen so entstehen. Wie sehr das Thema »Obsessions« ins Gesellschaftliche spielt, liegt auf der Hand. Als ein Leitmotiv durchzieht es aber auch die Geschichte des Musiktheaters: Es bildet die Grundlage der Opera Seria, setzt sich fort in der Romantischen Oper und zieht sich – mit »Salomé« und »Lulu« – bis in die Phase der letzten klassischen Opernwerke.
Student*innen der Theaterwissenschaft werden sich irgendwann damit beschäftigen, wie wir (und damit ist natürlich nicht nur der feXm gemeint) das Theater durch diese seltsame Zeit zu schaukeln versucht haben. Absehen wird man dann können, welche Spuren und Veränderungen sie in ihm hinterließ, auf welche Weise es sich veränderte und möglicherweise erneuerte, welche seiner früheren Wege und Methoden anschließend ausgemustert blieben. Wissen wird man, was von ihm blieb, wieviel von ihm blieb, wer von ihm blieb.
Marc Sinan hat es schon letzte Woche auf Facebook gespostet: »Leider ist traurige Gewissheit, dass auch ›Chaosmos‹ diese Spielzeit am Theater Bremen Corona-bedingt nicht mehr stattfinden kann.« »Coronabedingt« – abzusehen schon jetzt, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache diesen Ausdruck coronabedingt zu ihrem »Wort des Jahres« erklären wird.
Für »Chaosmos« bedeutet das aber nicht ein vorzeitiges Aus. Wer teilnimmt am NOperas!-Programm ist darauf eingestellt, einen jeweils erreichten Projektstand kontinuierlich als Ausgangspunkt einer Weiterentwicklung zu verstehen. Notgedrungen führt diese Weiterentwicklung auch »Chaosmos« jetzt ins Digitale. Ein Glücksfall dabei bleibt: Anders als die vielen, die sich in diesem Feld nun erst ihre Sporen verdienen müssen, ist dieses Team hier ohnehin so zuhaus wie auf der Theaterbühne.
Gedanken wurden gewälzt und Methoden erkundet seit Januar, auf welchem Weg ein Theaterpublikum noch stärker zum Mitwirkenden des Bühnengeschehen werden könnte. Zwar war all das nun definitiv für die Katz. Interaktiv soll in Orientierung an der ursprünglichen Grundidee nun aber auch das digitale Produkt werden. Auch hält der feXm bislang daran fest, dass das Theater, wo es nicht sein muss, nicht komplett der Homeshow am PC geopfert wird, sprich, dass es auf Basis gefilmten Materials in Bremen und Halle nach wie vor zu Formen einer Aufführung kommen kann, an der Sänger*innen beteiligt sind.
Den Willen, sich coronabedingt nicht unterzukriegen zu lassen, bezeugen die Clips, die Konrad Kästner interimistisch in Social Media und (unter dem Menüpunkt »Medien«) auf der NOperas!-Webpage postet. Sein letzter, aufgenommen im leeren Hallenser Opernhaus, ist ihm allerdings ziemlich gespenstisch geraten, er wirkt ein wenig wie ein Remake von Spielbergs »Close Enconunters of the Third Kind«.
Kaum sind auf ähnliche Weise auch die Weichen für »Kitesh« nun schon gestellt. Obwohl jedes Bundesland derzeit andere Regeln verfolgt, deutet im Moment wenigstens alles daraufhin, dass alle Theater im Oktober wieder spielen können. Aber was werden die Auflagen sein? Bei der feXm-Jury setzte sich »Kitesh« mit der Idee durch, das Publikum nacheinander durch unterschiedliche Stationen eines gemeinsamen Parcours zu führen. Entsprechend einer angepassten Idee nun könnten diese Stationen simultan bespielt, Besucher*innen in jeweils kleinen Gruppen auf sie aufgeteilt werden. Ist einerseits aber davon auszugehen, dass auch bei solche Anpassung nichts vorbeiführt an einer erheblichen Beschränkung der Gesamtzahl an Zuschauer*innen, so erhöht sich andererseits, da ja jetzt überall zugleich gespielt werden muss, erheblich der Aufwand an Mitwirkenden. Das bleibt ein noch ungelöstes Problem für die beteiligten Häuser und für das von der Gruppe verwaltete Budget.
Nicht Masketragen und Händewaschen allein hält uns grade am Leben. Zur notwendigen Psychohygiene gehört es, nicht manisch allein über die Rettung von Gefährdetem nachzudenken, sondern allem zum Trotz den Mut aufzubringen, Neues zu planen. Via Internet-Konferenz unternahm die Jury des feXm vergangenen Montag erste Weichenstellungen für 2021. NOPeras! wird dann in seine dritte Runde gehen.
Endlich waren bei dieser Ausschreibung nun auch sämtliche Website-Informationen in englischer Sprache verfügbar. Deutlich ist ein Anstieg von Bewerbungen aus dem europäischen Ausland erkennbar. Erstmals wurde die Ausschreibung in diesem Jahr auch weitläufig in Kreise migrantischer und postmigrantischer Kulturvereine gestreut. Kaum erkennt man bei Durchsicht der Bewerbungen aber einen Effekt. Ist die Idee eines Musiktheaters, das sich, so die Formulierung der Ausschreibung, »im Feld eines performativen Theaterverständnisses einer Befragung des Verhältnisses von musikalischem Klang zu Raum, Sprache, Theateraktion und digitalen Medien« stellt, in ihrer Reichweite doch möglicherweise auf bestimmte Kreise beschränkt?
Dreiunddreißig Teams haben sich beworben. Erneut fiel es enorm schwer, ihre Anträge herunter zu brechen auf zunächst fünf Finalisten, die zu einem vertiefenden Gespräch eingeladen werden sollen. Das Musiktheater als zeitgenössische und weit über die Oper hinausführende Kunstform ist, wie die Bewerbungen zeigen, voll neuer und quicklebendiger Impulse. Zur Förderung, die es eigentlich bräuchte und verdiente, reicht der feXm alleine kaum aus.
Auslage einer Hallenser Apotheke zwischen Markplatz und Opernhaus: Köpfe zwölf hübscher Schaufensterpuppen präsentieren Modelle hier erhältlicher Masken. Je nach Lifestyle-Konzept und Depressionszustand bleibt die Wahl zwischen fröhlichen Farben, die die Jahreszeit, und gedeckten, die derzeitiges Lebensgefühl widerspiegeln. Noch trägt keine das Siegel Dior oder Hugo Boss.
Eine lachende und eine weinende Maske halten als Sinnbild der dramatischen Künste her. Verkehrte Welt – nicht auf der Bühne sondern im Zuschauerraum wird die Maske ihre Theaterrenaissance nun erleben.
Ist das Florian Lutz dort in einiger Entfernung? Bestimmungsgemäß – alles sieht ein wenig aus wie bei einer schlecht verkauften Vorstellung – sitzen die Beteiligten der »Kitesh«-Bauprobe verteilt über den halbdunklen Zuschauerraum, nur die Haartrachten über den Masken lassen erahnen, wer welcher ist. Namen werden in den Raum gerufen, Arme recken sich zur Erkennung. Walkie-Talkie des technischen Direktors aus dem Parkett beim Testen des Blickwinkels vom zweiten Rang: »Wie viele seid ihr dort oben?« – »Fünfzehn!« – »Einer bitte nach unten, ihr anderen verteilt euch!«
Allem ist noch immer so sehr der Boden entzogen, dass man sich schwer noch an die Situation von vorgestern erinnert, alle Planung für morgen ins Blaue führt. Um in direkte Interaktion mit dem Publikum treten zu können, rang das »Hauen und Stechen«-Team gerade mit Bremen und Halle noch um eine Beschränkung der Zuschauerzahl – beide Häuser (siehe Blogeintrag vom 06.04.) hielten fest an der Zahl von zweihundert Personen. Aufgrund der Abstandsbestimmungen rechnet jetzt keiner mehr damit, dass mehr als hundert erlaubt sein werden. Kaum hat sich das Problem für »Kitesh« hierdurch aber gelöst: Theater, das auf Nähe zum Publikum setzt, wird auf absehbare Zeit unmöglich bleiben. Zu sehr drängte der Abgabetermin, als dass »Hauen und Stechen« schon auf die neue Theatersituation hätten reagieren können. Notgedrungen bleibt die Bauprobe an diesem Tag deshalb noch ausgerichtet an einem Aufführungskonzept, das seine Rechnung ohne Corona macht. Ein Skype-Termin in der kommenden Woche wird sich dann mit Wegen seiner Anpassung beschäftigen.
In Bielefeld sollte vergangenen Freitag Konrad Kästners Recherche-Projekt »Das Material« Premiere haben. Bis zum Abbruch der Proben und der Absage, die wie viele andere auch dieses Theaterprojekt ereilt hat, beschäftigte man sich mit der wundersamen Selbstvermehrung des Geldes im Finanzkapitalismus. Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, zockten Kästner und Team im Casino der Finanzwetten und Risikogeschäfte – der Einsatz, zusammengeklaubt aus persönlichen Taschen, bestand in 100 Euro.
»Es kann nicht mehr lang dauern, bis das zusammenbricht«, meinte Kästner kopfschüttelnd noch bei der »Chaosmos«-Bauprobe in Bremen (siehe Blog-Eintrag vom 29.01.) und meinte damit weniger den Gewinn, den er und sein Team bis dahin erwirtschaftet hatten, als das Finanzsystem, das diesen ermöglichte.
Angeschoben durch ein paar Fledermäuse in China ging’s doch aber dann schneller als erwartet und zu neuer Aktualität findet gerade Johannes Kreidlers Komposition »Charts Music« (empfohlen sei auf Youtube die Version des Ensemble Mosaik), in der er – ebenfalls übrigens ein feXm-Künstler – 2008 die generelle Talfahrt des damaligen Aktienmarktes musikalisch gegen die simultanen Gewinne von Heckler & Koch setzte.
Wenig verwunderlich gibt es auch heut die, die an der Sache verdienen. Timo Klinger, vierundzwanzig, aus Sandhausen bei Heidelberg, der bis vor drei Monaten Karnevalsartikel verkaufte – man kann also sagen, er arbeitete im weitesten Sinn im Kulturbetrieb – , hat sich, beherzt das bisherige Einsatzfeld wechselnd, im Januar einige tausend Atemmasken aus China gesichert. Indem er sie zu dreißigfachem Preis im Netz nun weiterverscherbelte, ist er innerhalb von vierundzwanzig Stunden zum Millionär geworden. Kaum ins Feld aufstrebender Startups zählen dagegen Bridgewater Associates. Als größter Hedgefonds der Welt hat das Unternehmen letzte Woche auf dem Geldmarkt 14 Milliarden Dollar auf den Niedergang der größten europäischen Unternehmen gewettet. Nicht zu früh sollten sich aber die Hersteller von Toilettenpapier freuen. Über Monate wird sich ihre Neuware in den Regalen stapeln, falls sich der Alltag (wird er’s?) irgendwann halbwegs wieder normalisiert haben sollte.
Was tut nun aber ein Theatrerregisseur (Konrad Kästner), der nichts mehr zu tun hat, da auch ja die Theaterwelt in größmögliche Unordnung geraten ist?
Er verlegt sich auf die zwanghafte Ersatzhandlung von Ordnungsmachen in der eigenen Mietwohnung. Für jede der drei ausfallenden Hallenser »Chaosmos«-Vorstellungen will das Team eine kleine filmische Entsprechung liefern, dies ist die zweite und der Link dazu findet sich → hier.
Erinnert sich einer an die Zeit, da Kino noch vor allem für die Leinwand produziert wurde? Nach dem Aufnahmeverfahren des Cinemascope war in den frühen 1950ern das noch breitgestrecktere »Cinerama« entwickelt worden. Idee dieser Formate war es, ein Gefühl von Weite zu erzeugen. Unvermeidlich dann aber ins neuere Medium des Fernsehens gezogen, erzeugten sie hier eher klaustrophobische Beklemmung: Postkutsche oder römischer Streitwagen – winzig jagten sie dahin innerhalb eines schmalen, von schwarzen Balken ummauerten Filmstreifens.
Zurück in den Zeiten von Cinemascope schienen wir zu sein in diesen Tagen, da Zwischenmenschliches sich nur noch entkörperlicht via der Nullen und Einsen digitaler Vermittlung vollzieht, bei der Abgabe des »Kitesh«-Bühnenbildes in Halle. Und auch da ging es nun, hinterrücks, vor allem um Formatfragen.
Fast immer in den vergangenen hundert Jahren haben Entwicklungsschübe des Theaters ihren Ausgang vom intimen Rahmen kleinerer Spielstätten her genommen. Nur hier, wo bei kleiner Publikumszahl Akteurin und Theaterbesucher sich nahe kommen und ein vibrierendes Konfliktfeld zwischen den Bereichen des Realen und des Fiktionalen entsteht, konnte – und vielleicht musste – eine neue Ästhetik entstehen, die mit dem Raffinement des Illusionstheaters auch die Trennung der Sphären zwischen Künstlerin und Publikum über Bord stieß, den Besucher ins Spiel herein holt und als Mitwirkenden begreift.
Was passiert aber nun, wenn ein solcher Theateransatz, wie er bestimmend auch für Hauen und Stechen bleibt, auf die Maschinerie des Stadttheaters trifft, dessen Architektur schon alleine sich nach einer gegenteiligen Idee ausrichtet und dessen Intendanten, halbwegs verständlich, von ihren Arbeitgebern noch immer an Auslastungszahlungen gemessen werden?
Auf zweihundert Besucher pro Vorstellung, und das ist durchaus schon ein Kompromiss, bestehen bei »Kitesh« deshalb noch immer die Häuser Halle, Wuppertal und Bremen. Schwer aber für Hauen und Stechen, unter diesen Bedingungen das Theater zu machen, mit dem sie sich als Gruppe einen Namen gemacht haben.
Kein typischerer feXm-Konflikt ließe sich denken. Zwei bislang wenig kompatible Systeme, analog denen von früher Kino und Fernsehen, prallen hier aufeinander. Wie im Fall von Film- und Monitorformat (das eine heute weniger breit, das andere breiter als früher) werden einerseits Stadttheater, andererseits freie Szene zu neuen Wegen gezwungen sein, soll’s nicht bei einer Trennung bleiben, die beide auf überholte Muster fixiert.
Wer dank all des derzeitigen Screenings historischer Aufführungen und der Video-Übertragungen aus menschenleeren Zuschauersälen, Theater dieser Tage an seinem PC verfolgt, erfährt allerdings, dass es der Bühne hier geht wie Peter Schlemihl, der seinen Schatten verkaufte. Mit raschen Ortssprüngen und dem Wechsel von Nah- und Fernperspektive wurde der Film zu einer eigenen Kunstform, die mit dem Theater noch wenig gemein hat. Unbeabsichtigt spiegeln all die Ersatzleistungen, mit denen die Bühnen ihr Publikum bei der Stange zu halten versuchen, vor allem die Unübertragbarkeit des Theatererlebnisses ins Digitale und also die ganze Tiefe des momentanen Verlusts. Nicht bloß müssen Rede und Aktion auch des besten Bühnendarstellers hohl und übertrieben erscheinen, wenn sie im fremden Medium erscheinen. In Reaktion auf die Sprache des Films musste sich Theater auch auf das besinnen, das es dem Film voraus hat. Das Konzept der Getrennheit von Publikum und Akteur gehört heute dem Film. Von Social Distancing aber bleibt keine andere Kunst so geschlagen wie die des Theaters.
Wann werden wir wieder spielen? – Schwer für Leitungsteams der Theater, nur halbwegs verlässlich zu planen, solange das immer noch unklar ist. Wann auch immer »Chaosmos« in Halle dann stattfindet, einige könnten ihre Partien umsonst studiert haben. Kaum ist garantiert, dass es bei der ursprünglichen Besetzung bleibt.
Deshalb muss man sich das nun auf der Zunge zergehen lassen:
Robert Sellier, der die Tenorpartie für Halle studierte, legte die Noten auch nach Abbruch der Proben nicht beiseite. Er probierte zuhause für sich allein weiter. Und er hat einen Clip gesandt, der mit seiner Corona-Version einer vollständigen Arie von Marc Sinan gleich auch mit die Entdeckung eines weiteren Musiktheatertalents enthält. Wir posten das als Weltpremiere am heutigen Tag, für den die Hallenser »Chaosmos«-Premiere angesagt war. Wer diesen Clip versäumt, ist selber schuld. Hier ist der →LINK.
Es war nach einigen Tagen dann zu erwarten: Abgebrochen, die Proben zu »Chaosmos« in Halle. Wie hundert andere wird auch diese Premiere zum veranschlagten Zeitpunkt nicht stattfinden. Trotzdem, das Rad steht nicht still bei den Theatern, auch wenn ihre Türen verschlossen bleiben. Genausowenig beim feXm.
Gemeinsam mit dem Produktionsteam suchen feXm und Oper Halle für »Chaosmos« nach Ausweichterminen. Geändert stattdessen hat sich nicht der Termin, nur der Kommunikationsweg zu Abgabe und Diskussion der Bühnenentwürfe für »Kitesh« – immerhin, Internetkonferenzen machen es möglich, allen gleichzeitig ins Gesicht zu schauen.
Bei allem, was man verschiebt, manövriert man immer noch derzeit auf unsicherem Boden, und innerhalb einer Gesamtplanung führt jede Verschiebung eine Kette von Folgeverschiebungen mit sich. Deshalb denkt man in Halle über Wege nun nach, den Termin auch der Bauprobe für »Kitesh« zu halten. Wenn machbar, soll sie von einem minimalen Stab an Bühnentechnikern betreut werden. Der große Rest aller Beteiligten könnte übers Internet dann zugeschaltet sein, dem sichersten Ort, wo man sich im Moment aufhalten kann.
Zum Abschluss gekommen ist während all dem die dritte Ausschreibung für NOperas!. Fast standardmäßig ersetzt in den Anschreiben der Bewerber*innen ein »Bleiben Sie gesund« die herzlichen Grüße einer früheren Epoche. So oder so, geplant bleibt, dass nichts verzögern soll bei der Auswertung der Bewerbungseingänge.
Als »Chaosmos« vor Monaten Gestalt annahm, wer hätte gedacht, welche Nahrung ein Nachdenken über Ordnungssysteme bald finden würde. Was da im Januar in Wuppertal über die Bühne ging, scheint aktueller, als es damals war und muss sich gleichzeitig neuer Lesart stellen. Die Idee vom Kollaps aller Systeme hat ihr entfernt Fiktives verloren. Kaum mehr kommt sie herüber dabei als Vision einer Befreiung. Bewusst in der Schwebe bleibt bei »Chaosmos« gehalten, ob sich Kritik an Ordnungssystemen auf besondere ihrer Art zu richten hat oder ob Ordnungssysteme an sich schon immer Systeme von Unterdrückung und also grundsätzlich zu bekämpfen sind, wie es die standardisierte Meinung neuerer Studiengebiete ist, die das Wort »post« als Präfix tragen. Zwei Monate nach Wuppertal nun haben wir klarere Vorstellungen davon, was mit dem Wort Chaos gemeint sein kann und wünschen uns nichts mehr als Ordnung.
Wird eine schlechtere Ordnung aus der früheren nun entstehen, eine, in der wir uns bald an staatliches Durchregieren gewöhnen? Eine bessere sieht gestern im Radio ein Dominikaner kommen. Zu schnell und zu atemlos seien wir den Dingen hinterher gerannt. Endlich die Chance also, Ruhe zu finden, sich, wie er sagt, aufs Eigentliche zu besinnen. Gibt es Eigentlicheres aber in diesem Moment für die vielen Solo-Selbständigen der freien Szene als ihre Sorge, nicht über die Runden zu kommen? Was wird passieren mit Fördergeldern, für die sich Künstler*innen im Rahmen von »NOperas!« qualifiziert haben und auf die sie das Leben ihrer Familien bauen, sollte sich wirklich herausstellen, dass am Ende vieles doch abgesagt werden muss und dass Verschobenes auf längere Sicht zu einem Rückstau neuer Beauftragungen führt? Im Moment der Bedrohung scheint das Land sich bewusster zu werden, was es an denen besitzt, die jenseits der ökonomischen Verwertungskette stehen und es mit Kultur versorgen. Auch der feXm würde seine Künstler nicht allein lassen.
Vor drei Tagen Konzeptionsprobe »Chaosmos« in Halle: Angeregte Diskussionen, die tief in die Thematik des Projekts führen – auf so genaues Interesse der Mitwirkenden an Inhalten trifft man selten im Opernbereich. Bloß drei Tage ist das her und plötzlich steht vieles in Frage. Corona hat Deutschland im Griff. In Berlin wurden Theater und Kinos geschlossen. Halle schloss heute Schulen und Kindertagestätten. Und seit Mittag steht fest: bis zum 27. März wird an der Oper nicht gespielt. Niemand weiß, was danach sein wird. Drei Vorstellungen von »Chaosmos« sind für Halle anberaumt, zwei im April, eine im Mai. Werden sie stattfinden? Die Probenarbeit jedenfalls geht weiter …
Fürs Verhältnis von Klang, Sprache und visuellem Geschehen gibt die Oper klare Regeln vor. Wer sich vorwagt in neuere Formen des Musiktheaters, der beginnt dagegen bei Null, muss Grundlegendstes für sich neu erst aushandeln. Mails und Telefonate innerhalb des »Chaosmos«-Teams kreisen auch jetzt noch um dieses Thema. Keine der Kunstebenen soll »gehorsame Dienerin« mehr sein, für Marc Sinan wurde in Wuppertal das Optimum dabei noch nicht erreicht, er wünscht sich Ausdünnung des Materials und weniger starke Überlagerung der Informationsebenen.
Wie an der Wupper im Januar: NOperas!-Gipfeltreffen nun an der Saale. Komponisten und musikalische Leiter zweier Produktionsteams laufen sich vor benachbarten Probebühnen über den Weg – für »Chaosmos« beginnen die Gesangsproben; für »Kitesh« geht es um Vorabstimmungen mit Sängerinnen und Sängern im komplexen Prozess der begonnenen Stückentwicklung.
Flaues Gefühl beider Teams bei der Anreise, immer noch berichtet die Presse von internen Zerwürfnissen in Halle. Lustvolles Engagement schlägt beiden Projekten am Haus dann aber entgegen. Für dieses Ensemble ist es nichts Neues, sich zu erproben im Ungewohnten.
Essentielles Moment für die Arbeit des feXm: das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Erfahrungshorizonte – für die Basspartie von »Chaosmos« wurde in Halle Andreas Fischer engagiert, er ist Gründungsmitglied der Neuen Vocalsolisten, ins Quartett bringt er reiche Erfahrung im Umgang mit zeitgenössischer Musik mit ein.
Ein Parforceritt ist dieser Tag für die an beiden Produktionen beteiligten Sopranistinnen Anke Berndt und Yulia Sokolik. Alexander Chernyshkov leitet Improvisationen an, um sie genau kennenzulernen als Vokalperformerinnen und seine Komposition dann individuell auf sie auszurichten. Kompositorisch ist an »Kitesh« gleichzeitig aber auch Roman Lemberg beteiligt. Wer auf die klare Gliederung herkömmlicher Aufgabenverteilung hofft, müsste noch mehr dann verzweifeln, als Lemberg die Arbeitsweise von H&S erklärt: Dass bei der Auswahl musikalischen Materials auch das Gesangsensemble mit gefragt ist. Dass es bei H&S kaum etwas wie Haupt-und-Nebenrollen gibt. Dass wohl die Gesangspartien klar aufgeteilt sein werden, nicht darüber hinaus aber die Rollen. Dass sich erst herausstellen muss, wer in welchem Moment welche Figur spielt … NOperas! ist eingefallen an der Saale.
Seit vierzehn Tagen nun läuft sie – die dritte Projektausschreibung. Noch einen Monat haben neue Bewerber Zeit.
Grundidee von NOperas!: Auf drei Spielzeiten hin schließen sich drei Theater zu gemeinsamer Pionierarbeit zusammen. Nur zwei werden in der dritten Spielzeit jetzt aber dabei sein. Unter Florian Lutz mauserte sich die Oper Halle zu einem der führenden Opernhäuser – der Aufsichtrat, der an der Saale über für Wohl und Weh des Theaters entscheidet, verlängerte trotzdem nicht seinen Vertrag. Die Stadt Kassel, die sich Lutz als neuen Intendanten sofort schnappte, vielleicht gar Lutz selber, der nun also ein Staatstheater leiten wird, kann das freuen, nicht leider den Fonds Experimentelles Musiktheater – mit Lutzens Nichtverlängerung verkürzt sich die Bindung von Halle an »NOperas!«.
»Chaosmos« bespielt in Bremen das Schauspielhaus. Wie Eyleen Königs Modell zeigt: Von der Wuppertaler Raumbühnensituation würde hier links und rechts nur eine einzelne Zuschauerreihe bleiben. Wer dort sitzt, hätte das Gefühl, selber mit auf der Bühne zu sitzen. Besser also, hier zum Gewohnten zurückzukehren, das ganze Publikum auf eine gemeinsame Seite zu setzen. Auf einer verlängerten Schräge werden die Kartons des »Logistikzentrums« dafür immer wieder von weit quer durch den gesamten Zuschauerbereich gerasselt kommen.
Alexander Chernychkov ist angereist. Als einziger lebt er nicht in Berlin.
»Kitesh« ist seine zweite Zusammenarbeit mit H&S. Chernychkovs Klangwelt soll die von Rimski kontrapunktieren. Roman Lemberg als musikalischer Leiter wird Rimski gleichzeitig bearbeiten, uminstrumentieren. Kollektive Suche beider nach einer Berührung von Altem und Neuen.
Dezidiert bezeichnen sich H&S dabei selber als »Kollektiv«. Berechtigung findet das nicht erst im Probenprozess, sondern schon im frühen Stadium der Ideenfindung. Schon hier sind auch die Darsteller mit beteiligt. Dass der Ideenpool so ein konfliktreicher bleibt, soll im weiteren Prozess nicht eingeebnet werden, es macht mit das Besondere der Ästhetik von H&S aus.
Selten in freier Theaterarbeit existiert ein Budget von der Höhe, wie es NOperas! zur Verfügung stellt. Allerdings geht es um ein Projekt, das an unterschiedlichen Orten auch unterschiedliches Gesicht zeigen soll. Am Ende bleibt die finanzielle Ausstattung deshalb kaum luxuriös. (Wann und wo kann sich diese mit jenem zur Arbeit treffen, ohne dass Reise- und Übernachtungskosten schon zu viel verschlingen?)
Fliegender Wechsel in Friedrichshain von ersten Ansätzen zu einer grundsätzlichen Dramaturgie, Diskussionen zum Begriff »Utopie« und zu klärenden Fragen im Organisatorischen.
Wohlwollend (mit Ausrutschern) das Presse-Echo auf »Chaosmos«. Irritation bei manchen, was die Involvierung der Zuschauer – sprich: ihren Einfluss auf den musikalischen Ablauf – betrifft. Manches blieb hier tatsächlich noch missverständlich. Prominent erscheint vielfach das Wort »Oper«. Noperas! aber heißt NOperas!, weil es um Auswege hier geht aus den engen Spielräumen der Opernform. Die ironische Verwendung des Wortes »Logistik-Oper« bleibt vor Missverständnissen also nicht gefeiht – auch was die Musik von Marc Sinan betrifft: kaum mehr will sie sich aufschwingen zur Herrin übers Theater, auf gleichberechtige Weise (und ganz opernfern) sucht sie sich einzuordnen ins Multimediale.
Gewohnte Sorge noch vor einigen Tagen: Wie wird die Premiere verkauft sein? Viel Vorarbeit für neue Musiktheaterformate ist in Wuppertal aber bereits geleistet. Die Nachfrage übersteigt die Zahl der Plätze, mancher muss seinen Besuch auf die zweite Vorstellung vertagen.
»Chaosmos« ist in Wuppertal eingereiht in ein »on stage« genanntes Programm. Auch sonst wird da das Publikum mit auf die Bühne geholt. Besucher und Besucherinnen sollten also gewöhnt sein an die Hinterfragung der Guckkastenbühne und ihres Verhältnisses von Darsteller und Publikum. Skeptische Blicke trotzdem bei einigen, als Person für Person einzeln hier auf die Bühne geschleust und noch dazu dann mit Notensortieren betraut wird, bevor endlich man Platz nehmen darf. Zu bequem soll es der Zuschauer auch anschließend nicht haben. Bühnenbildnerin Eyleen König hat ihn auf Stadionsitze verbannt …
Dann gerät aber alles ins Rollen. Nach neunzig energiegeladenen Minuten: Langer und intensiver Beifall für Solisten, Musiker, Produktionsteam. Ein Bravo an dieser Stelle auch von Seiten des feXm: Für Rike Schuberty und Annemie Twardawa als Joe und Jay. Ganz besonders aber fürs Quartett der Sängerinnen und Sänger und die Musikerinnen und Musiker der Oper Wuppertal. Viel Ungewohntes meistern sie an diesem Abend, synchronisiert in ihrem Zusammenspiel dabei allein durch ein Clicktrack im Ohr anstatt durch einen Dirigenten.
Für den feXm wie für das Produktionsteam war »Chaosmos« anfangs ein Hindernislauf. Einiges an organisatorischer Justierung ergab sich erst im Zusammenhang laufender Erfahrungen mit dem neuen Förderprogramm. Das Aufatmen aller nun aber ist kurz. Wer kennt sonst schon solche Premierenfeste? Wenig beschäftigt man sich mit abschließenden Urteilen, die meisten sprechen von Wegen der Weiterentwicklung.
NOperas! endgültig nun auf doppelter Spur: »Chaosmos« und »Kitesh« treffen aufeinander in Wuppertal.
Hauptprobe »Chaosmos«. Die Leitungsriegen aus Bremen und Halle reisen an. Nach der ausführlichen gemeinsamen Vorbereitungszeit: erster Blick für sie auf ein Bühnenergebnis, das bei ihnen dann durch weitere Entwicklungsstadien soll.
Immer kann Theater auch schief gehen, noch mehr, wenn es Neuland betritt wie hier. Aufatmen dann und ausführliches Schulterklopfen aller mit allen nach Ende des Durchlaufs.
Vor Ort sind auch »Hauen und Stechen«: Mammutsitzung am Nachmittag zu »Kitesh« mit den Abteilungen aller Theater. Absprachen zu Besetzung und organisatorischem Ablauf sollen unter Dach und Fach. Nicht einfach. Jedes der Häuser bringt unterschiedliche Voraussetzungen ins Spiel.
Rimskis Oper (Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und von der Jungfrau Fewronija) – in Russland gehört sie zum Standardrepertoire, kaum aber in Deutschland. Sie soll in diesem Projekt den Ausgangspunkt zu einer Auseinandersetzung mit utopischem Denken geben. Vor Ort gewonnene Laienchöre bilden wichtigen Moment des Konzepts – um Anbindung an die Menschen der jeweiligen Stadt geht es, auch um die besondere Aura eines Individuellen und Authentischen, wie sie ein professioneller Opernchor kaum liefern kann.
Erst nach längerem Parcour soll die Aufführung im Haus und auf der Bühne landen. Schon im Dezember haben H&S Halle erkundet. Mario Engelmann, technischer Direktor der Oper Wuppertal, führt das Team durch Opernhaus und benachbarte Außenbereiche. Beginnen soll der Parcour – die Legende von Kitesch geht zurück auf den Hunnensturm – in einem Zelt. Wo könnte es aufgebaut werden?
Vor dem Theater liegt der »Engelsgarten«. Nicht mit Engeln hat er zu tun, sondern mit einem Wuppertaler Textilunternehmer, dessen Geburtshaus hier steht und dessen Name kein unwichtiger ist in der Geschichte utopischen Denkens. Könnte man tiefer schon drin sein in der Arbeit an »Kitesh«?
Roland Quitt arbeitet als freischaffender Dramaturg, Kurator und Autor im Bereich zeitgenössischen Musiktheaters. Er studierte Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft an der FU Berlin. Fürs Theater Bielefeld und das Nationaltheater Mannheim konzeptionierte er bis 2009 mehr als 30 Uraufführungen im Bereich neuen Musiktheaters jenseits der Opernform. Gemeinsam mit Laura Berman initiierte er im Rahmen des Internationalen Theaterinstituts den ersten bislang einzigen weltweiten Wettbewerb für Neues Musiktheater Music Theater NOW. Er ist Vorsitzender des Verbands »Zeitgenössisches Musiktheater Berlin« (ZMB), in dem sich die freie Musiktheaterszene Berlins zusammengeschlossen hat und künstlerischer Leiter des Festivals BAM – Berliner Festival für aktuelles Musiktheater.
Die NOperas!-Projekte werden jeweils öffentlich ausgeschrieben. Die Ausschreibungen basieren auf Einzelvereinbarungen mit Stadttheatern in und außerhalb NRWs und finden einmal im Jahr statt. Sie werden in der Fachpresse (Theater- und Musikzeitschriften) und in anderen Medien angekündigt und finden sich im Wortlaut dann auf dieser und den entsprechenden Webseiten der Projektträger und -partner. Bewerbungen für NOperas! sind nur zum Zeitpunkt jeweiliger Ausschreibungen und unter Bezug auf diese möglich. Der Bewerbungszeitraum nach dem Beginn einer Ausschreibung beträgt gewöhnlich zehn Wochen. Die erste NOperas!-Ausschreibung des feXm erfolgte im Sommer 2018 mit Frist 30. September 2018. Aktuell gibt es keine Ausschreibungen. Die nächste Ausschreibung
Konrad Kästner ist freier Regisseur und Videokünstler. Er stammt aus Leipzig, arbeitete mehrere Jahre als Researcher und Regieassistent für Werbefilme in Südafrika und studierte anschließend Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam Babelsberg. Sein Film »Kathedralen« wurde u.a. mit dem Max-Bresele-Preis für politisch relevanten Film ausgezeichnet und stand auf der Shortlist für den Academy Award 2015. Er führte die Videoregie bei zahlreichen Theaterstücken u.a. am Theater Potsdam, den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, dem Theater Bielefeld, Theater Kiel, Theater Lübeck und der Oper Halle (Saale). Er schrieb und inszenierte die investigativen Recherchestücke »DER AUFTRAG« und
Tobias Rausch arbeitet seit 2001 als Regisseur und Autor im Stadttheater und in der freien Szene. Er ist Gründer des Performancekollektivs lunatiks, dem er bis 2015 angehörte. Sein Schwerpunkt liegt auf Arbeiten, bei denen der Stücktext auf der Basis von Recherchen entsteht. Er wurde mit dem Otto-Kasten-Preis der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein 2012, dem Bremer Autoren- und Produzentenpreis 2007, dem Humboldt-Preis 2001 und mehreren Stipendien ausgezeichnet. Er unterrichtet regelmäßig an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, der Zürcher Hochschule der Künste und der Universität der Künste Berlin. Er ist Mitinitiator der Konferenz »Klima trifft Theater« und der Berliner Recherchetheatertage. Seit
Marc Sinan ist Komponist und Gitarrist. In seiner Arbeit erprobt er neue Wege der Kollaboration zwischen Künstler*innen im transkulturellen, transmedialen und musiktheatralen Kontext. Dabei arbeitet er meist in Personalunion als Komponist, künstlerischer Leiter, Gitarrist und Produzent mit seinem eigenen Ensemble, der Marc Sinan Company, und wechselnden internationalen Gästen und Partnern. Aufnahmen seiner Werke werden bei ECM veröffentlicht. Er lebt und arbeitet in Berlin. Seine sozialkritischen, konzeptionellen und abendfüllenden Werke werden international aufgeführt und waren bei wichtigen Festivals zu Gast. Sinan kollaborierte mit dem Royal Philharmonic Orchestra, den Dresdner Sinfonikern, dem No Borders Orchestra, den Neuen Vocalsolisten Stuttgart, Jörg Widmann u.v.a.www.marcsinan.com