Auf einer Bauprobe wird der Entwurf eines Bühnenbilds geprüft, bevor er in den Werkstätten dann in Fertigung geht. Neben technischen Lösungen geht es auch um Raumwirkung und Sichtlinien. Bauteile werden mit improvisierten Mitteln angedeutet. Ort ist normalerweise die Bühne, auf der das betreffende Stück dann später zur Aufführung kommt.
Bauproben im Rahmen von »NOperas!« sind ein besonderer Fall. Sie finden am erstproduzierenden Haus statt. Der Entwurf muss variabel genug sein, um den räumlichen Verhältnissen aller Theater angepasst werden zu können. Zur Orientierung reisen auch Abteilungen der anderen Häuser mit an. Falls nicht zu viele Probleme auftreten, herrscht die gehobene Stimmung einer Fachkonferenz. Für die technischen Abteilungen ist es die rare Situation von Begegnung und Austausch mit Kollegen gleicher Zunft. Oft ergeben sich Synergien. Was fürs eine Haus schwierig ist, kann das andere leisten. Man reicht sich in technischen Fragen die Hand.
Eine besondere unter diesen besonderen Bauproben war die von OPER ATZE AXT, nicht in Darmstadt, Bremen oder Gelsenkirchen, sondern – in einer Fabrikhalle in Unterkassel. »Zieht euch warm an, der Ort ist unbeheizt«, mailte Produktionsleiterin Anne Bickert. Von der Kasseler Straßenbahnhaltestelle mit dem trügerischen Namen »Katzensprung« bleibt es ein längerer Marsch durch Industriegebiet dann bis zum Firmengelände der Hafenstraße 76. Gemütlich ist es da nicht, aber wärmenden Kaffee kriegt man im 300 Meter entfernten OBI-Markt. Vom OBI-Bäcker, der Weihnachtswahn hat begonnen, hat jemand auch vorweihnachtliche Makronen mitgebracht. Sie bleiben liegen, nachdem ein OBI-Witz betreffend Makronen und Sägespäne gefallen ist.
Fabrikhalle statt Bühne also. Und anders als sonst auch auf Bauproben: nichts wird improvisatorisch hier angedeutet, alles steht bereits fertig da: die finalen Bauteile, professionell verschraubt und verschweißt von den Leuten des RHO-Kollektivs. Als Bauprobe, »die keine war«, bezeichnet sie mit Ironie in der Stimme am Telefon später Brigitte, Bremens Operndirektorin.
RHO, nicht nur künstlerisch, sondern in diesem besonderen Fall eben auch baulich für die Bühne verantwortlich, kooperieren in OPER OTZE AXT mit »Dritte Generation Ost«, man könnte sagen: bilden ein »Subkollektiv« der DDO-Leute.
Über mehrere Wochen haben RHO in Unterkassel mit teils kostengünstig, teils kostenlos erworbenem industriellem Ausschussmaterial gearbeitet, sich vom dabei Aufgetriebenen inspirieren lassen, es experimentierend auf verschiedenste Weisen zusammengebaut, wieder auseinandergenommen, neu zusammengesetzt. Drei Objekte sind dabei entstanden: auf Rollen gesetzte Kammern, die ihre Herkunft aus Schrott nicht zu vertuschen zu versuchen, sondern geradezu ausstellen. Sie ruhen auf ausgemusterten Bühnenwägen, die das Staatstheater Kassel stiftete, so dass neben Darmstadt, Bremen und Gelsenkirchen unter der Hand also ein weiteres Theater zu dieser Produktion nun mit beiträgt.
Für die Leute von RHO, die künstlerisch sonst im Bereich von Ausstellung und Installation arbeiten, ist die DDO-Kooperation die erste Begegnung mit dem Feld des Theaters. Ihre Arbeit muss sich in Kassel nun den Häusern, vor allem dabei deren Sicherheitsbestimmungen, stellen.
Ungewohnt ist die Begegnung auch für die Theater. Dies oder jenes müsste noch zusätzlich verschweißt werden, ansonsten fällt für die Werkstätten kaum eigene Arbeit an. Trotzdem, vieles hier trifft sich mit aktuellen Tendenzen im Bereich der Performing Arts, übersetzt sie vom Gebiet der Bühnenaktion sozusagen in den Bereich der Bühnenplastik: Ein klassischer philosophischer Versuch, das Schöne zu definieren, verbindet sich damit, seinen besonderen Nutzen abzuheben von jeglichem Nutzen innerhalb der Kategorien praktischen Verwertbarkeitsdenkens. Das auf praktischer Ebene Nicht-mehr-Nützliche, dem die Wegwerfgesellschaft in ihrem Zwang zu immer beschleunigterer Produktion immer beschleunigter auch das Müllplatz-Etikett »nutzlos geworden« aufklebt, hier erscheint es entsprechend solcher Definition zu Schönem geadelt.
Analog zu der Weise, wie den Projekten von »NOperas!« im Szenischen wie Musikalischen gewöhnlich kein genau definierter Plan mehr vorausgeht, der im Probenprozess dann nur noch »auszuführen« wäre, so geht auch dieser Bühne kein Plan auf Papier mehr voraus. Wie also Theaterproben im Rahmen von »NOperas!« dem behutsam experimentierenden Prozess einer Stückfindung dienen, bei der die beteiligten Performer sich wesentlich mit einbringen, so wurde auch hier am Material selber erprobt und entwickelt. Beides trifft sich mit der Idee eines Theaters, das nicht mehr allein Illusion und also idealisiertes Gegenbild zu wirklicher Welt sein will. Wie der Performer sich als der, der er ist, dabei nicht mehr hinter Schminke und Maske verbirgt, seinen Beruf nicht mehr allein in »so tun als ab« begreift, will auch diese Bühne nicht als Attrappe eines anderen mehr gelesen werden, sondern als Darsteller ihrer selbst.