Workshop-Arbeit mit den Musiker:innen des Bremer Orchesters: Annika Tudeer (Oblivia), Timo Fredriksson (Oblivia), Hélène Freyburger (Flöte), Gregor Daul (Oboe), Anatoli Jagodin (Posaune), Rose Eickelberg (Perkussion), Reinhold Heise (Violine), Marie Daniels (Viola).
Wenn Oblivia sich einem neuen Projekt widmen, steht zunächst ein vereinbartes Thema im Raum, alles weitere wird dann vom ersten Moment an in gemeinsamem Improvisieren entwickelt. Die szenische Arbeit an »Obsessions« nahm ihren Anfang während der vergangenen Monate. Zwei der Beteiligten leben in Berlin und Essen, die anderen in Helsinki. Zwar improvisierte man gemeinsam, war aufgrund der Reisebeschränkungen nur aber übers Internet miteinander verbunden. Innerhalb einer lockeren Workshop-Atmosphäre begann in Bremen nun das Improvisieren mit den hiesigen Sänger:innen und Musiker:innen. Auch für Oblivia bedeutete dies unerkundetes Neuland. Die Herausforderung einer Stückentwicklung, an der neben den Akteur:innen der Gruppe selbst zum ersten Mal nun auch weitere Personen beteiligt sind, führte zu einem Kompromiss mit der bisherigen Arbeitsweise. Intern hatte man bereits das grundsätzliche Raster einer übergreifenden Stückstruktur erarbeitet, in Bremen nun ging es um eine Annäherung an die für Sänger:innen und Musiker:innen offen gehaltenen Freistellen. Nicht mit allen Sänger:innen und schon gar nicht allen Orchestermusiker:innen ist ist eine solche Arbeit möglich. Das Theater Bremen hat klug disponiert. Alle zeigten sich hochmotiviert, neue Wege zu betreten und sich als nicht nicht nur Interpret:innen und Ausführende, sondern Mitschaffende – auf das Abenteuer dieser Stückeintwicklung einzulassen.
Hoher Gast bei der Jurysitzung am 30.9. – V.l.n.r: Christina Dath (Verwaltungsleiterin NRWKultursekretariat), Michael Schulz, Konstantia Gourzi, Csaba Kezer, Elisabeth II., Brigitte Heusinger, Sebastian Hanusa, Irene Lehmann (© Roland Quitt)
Dreijahres-Zyklen sollen es sein, zu denen sich die an NOperas! beteiligten Theater verpflichten. Der erste von ihnen geht mit dieser Saison zu Ende. Gemeinsam mit den beteiligten Häusern manövriert sich dabei auch NOperas! immer noch mühsam durch den corona-veranlassten Verschiebebahnhof der Theaterspielpläne. Wäre es sinnvoll gewesen, etwas mehr Luft in die Sache zu bringen, für eine Saison kein neues Projekt auszuschreiben, den zweiten Zyklus um ein Jahr zu vertagen? Als einziges Förderinstrument im deutschsprachigen Raum, das sich explizit auf neuere Spielformen des Musiktheaters richtet, ist NOperas! eine wichtige Anlaufstelle für die Arbeit der freien Szene – auszusetzen hätte bedeutet, dieser Szene in einem Moment die Stütze zu entziehen, in der viele ihrer Akteur:innen infolge des vergangenen Theaterlockdowns noch immer in ihrer Existenz bedroht sind.
Interessant bleibt: Verstärkt wurde die diesjährige Ausschreibung dann von Newcomer:innen genutzt, während manch etabliertere Player der Szene signalisierten, sie säßen selber noch immer auf zu vielen verschobenen Projekten, um sich derzeit neuen Zielen widmen zu können.
Kaum wurde es für NOperas!-Jury dadurch aber einfacher, zuletzt eine und nur eine Produktion auszuwählen unter den vielen Bewerbungen, die auch in diesem Jahr eine Förderung verdient hätten. In der Öffentlichkeit entsteht immer wieder das Missverständnis, dass feXm und NOperas! der Idee eines Wettbewerbs folgen, die Jury ihre Projektauswahl also mit dem Statement verbindet, es handele sich um das »beste« all der eingereichten Konzepte. Nicht umsonst sind an diesem Gremium neben unabhängigen Expert:innen aber auch Vertreter:innen der ausführenden Theater beteiligt. Auch Erwägungen, die an an deren jeweiliger Spielplankonzeption ausrichten, fließen in die Projektwahl also immer mit ein.
Sechs Finalist:innen waren für den 30. September nach Düsseldorf eingeladen, um sich Rückfragen zu ihrer Bewerbung zu stellen. Am Ende des Tags war sich die Jury noch immer nicht einig und so fiel die Entscheidung erst während eines zusätzlichen Treffens am 11. Oktober.
Das erste Projekt der neuen Dreijahresstaffel wird eine (einstweilen noch unbenannte) Produktion der schweizerisch-deutschen Gruppe HIATUS sein. HIATUS sind: der Komponist Duri Collenberg, der Improvisationsmusiker Lukas Rickli und die Theatermacherin Uta Plate – mehr über sie bald auf dieser Webseite.
Im Zentrum ihres Projekts, das Elemente eines Audio- und Video-Walks mit der Theateraktion von Sänger:innen und Instrumentalist:innen verschmilzt, steht das Erleben, Denken und Fühlen einer ausgewählten Gruppe von Kindern mit Herkunft aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Am eingereichten Konzept beindruckte die Jury sowohl der Anspruch, den beteiligten Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, als auch der, die musikalische und theatrale Arbeit mit ihnen zu einem ambitionierten Theater für Erwachsene zu machen. Ein dialektisches Spiel, das Erwachsene zurückführt in ein früheres Dasein elementarer Konflikte, Wünsche und Hoffnungen. Eine Erinnerung könnte von ihm ausgehen an unsere Verantwortung für diesen bedrängten Planeten, den wir den Jüngeren bald zu übergeben haben.
Im Rahmen der Produktion ist eine Kooperation mit dem Züricher Festival Blickfelder geplant. So soll in Zürich zunächst eine Fassung zur Aufführung kommen, die sich auf die digitale Ebene von Audio- und Video-Zuspielungen beschränkt und erst im Zuge der Weiterentwicklung in Gelsenkirchen und Bremen dann durch theatrale Aktion erweitert wird.
© Markus Distelrath | pixabay
Berthold Schneider und sein Team von der Oper Wuppertal gehen durch schwere Zeiten. COVID zwang sie seit Mai zur Einstellung des Spielbetriebs und also erneuten Verschiebung von Proben und Premieren. Gerade nun hatte man neu geplant – da kam im Juli die Flut. Wer Wuppertal kennt, weiß wie nah die Oper am Fluß liegt: Das Hochwasser ist in den unteren Bereich des Opernhauses eingedrungen, es hat den Orchestergraben überflutet, eine Vielzahl von Instrumenten beschädigt. Der entstandene Schaden wird inzwischen auf eine Summe von rund 10 Millionen Euro geschätzt. Frühestens im Dezember soll die Bühne wieder bespielbar sein. Wenig Trost spendet da, dass die Oper Wuppertal für ihr künstlerisches Programm wenige Tage vor der Flut zu einem der elf Preisträger des Theaterpreises des Bundes gekürt wurde – ein weiterer ist das Schlosstheater Moers, das 2017 und 2018 François Sarhans mehrteilige feXm-Produktion »The Suitcase« präsentierte.
Vom Wuppertaler Hochwasserdesaster ist leider auch das NOperas!-Projekt »Obsessions« betroffen. Selbst wenn im Dezember wieder gespielt werden könnte, wird es weit länger dauern, die Schäden an der Untermaschinerie zu beheben. Länger noch muss dabei auch noch unsicher bleiben, ob im kommenden März zur geplanten Wuppertaler Premiere von »Obessions« die Drehbühne wieder zur Verfügung steht, die für dies Projekt unerlässlich ist. Wenn irgend möglich soll der Termin trotzdem gehalten werden. Begonnen hat deshalb die Suche nach einer Ausweichspielstätte im weiteren Umfeld der Stadt.
Mit der ersten Aufführung von »Chaosmos« feierte NOperas! im Januar 2020 in Wuppertal seine erste Premiere. Mit Gruseln redete man in den Kantinen damals über ein seltsames Virus, das sich in China verbreitet hatte, und war noch überzeugt, man befände sich in sicherer Entfernung. Schnell stellte sich das dann als Irrtum heraus und schon bald nachdem NOperas! an den Start gegangen war, war das Theater nicht mehr dasselbe. Corona also ist ungefähr gleich alt wie NOperas!, blieb seitdem ungebetener Begleiter dieses Förderprogramms und zwingt es bis heute immer neu auf improvisierte Wege.
Zur geplanten Weiterentwicklung von »Chaosmos« auf Theaterebene kam es nicht, Proben in Halle hatten begonnen und mussten abgebrochen werden. Wie so oft in der vergangenen Zeit stand dann am Ende ersatzweise ein Film, den Bremen und Wuppertal auf ihren Webseiten präsentierten.
Unter angespannten Bedingungen fand im Herbst 2020 dann »Kitesh« in Halle zu einer ersten Aufführung. Aber auch hier legte das Virus sich quer. Nur eine weitere Vorstellung gab es, die dritte konnte aufgrund veränderter Hygienebestimmungen nicht stattfinden.
Nach ausgiebiger konzeptioneller Vorarbeit zur Wuppertaler Fassung von »Kitesh« sah sich die Oper Wuppertal dann zu einer kompletten Absage gezungen – der Lockdown hatte die geplanten Aufführungen im Januar verhindert, »Kitesh« war zunächst in den Mai verschoben worden, konnte aber auch da weder geprobt noch gespielt werden, zu einer nochmaligen Verschiebung sah sich das Haus außerstande. Bremen dagegen hat »Kitesh« nun in die kommende Spielzeit gerettet, wo es nun nach (!) der dortigen Premiere des neuen NOperas!-Projekts »Obsessions« weiter erarbeitet und aufgeführt werden soll.
Mit einem kleinen digitalen Feuerwerk, das noch einmal zusammenfasst, was im Rahmen dieses Programms trotz allem entstanden ist, verabschieden sich NOperas! und Partnertheater derweil in die Spielzeitpause:
Als Ersatz für die angekündigten Aufführungen präsentiert die Oper Wuppertal auf ihrer Webseite einen im Rahmen von »Kitesh« entstandenen Kurzfilm – in ihren Theaterproduktionen arbeiten Hauen und Stechen auf vielfältige Weise mit filmischem Material, und hier ist es nun umgekehrt: eine filmische Arbeit, die ausführlich Material des Theaters in sich aufnimmt.
Nach dreieinhalb Jahren wagemutiger Musiktheater-Erkundungen nimmt gleichzeitig das Hallenser Leitungsteam um Florian Lutz nun seinen Hut, indem es zum Abschluss ein Festival mit dem Titel »Alles endet« veranstaltet. Unter musikalischer Live-Begleitung von Marc Sinan kommt es dabei zu einem Public Viewing des »Chaosmos«-Films auf dem Vorplatz des Hallenser Opernhauses. Die Veranstaltung wird gleichzeitig aus einem fürs Festival geschaffenen »virtuellen Opernhaus« gestreamt. Für beides siehe Kalender.
Als Video on Demand ist während des Festivals neben dem Kurzfilm, den auch die Oper Wuppertal präsentiert, noch eine zweite filmische Auseinandersetzung des Produktionsteams mit dem Thema Kitesh abzurufen. In Kürze wird sie auch auf dieser Webseite zu finden sein, Chaosmos – Der Film« findet sich einstweilen hier, »Kitesh / Kurzfilm« hier.
Jüngst beim Zoom-Symposium der Austrian Music Theatre Days wurde NOperas! als ein Wettbewerb vorgestellt. Das kann man so sehen, entspricht aber kaum dem Selbstverständnis dieses Programms. Kaum liegt der Akzent darauf, jedes Jahr irgend ein »bestes« Musiktheaterprojekt ins Licht zu stellen, geschweige denn »Gewinnerin« oder »Gewinner« zu küren. Viele Bewerbungen hätten den Zuschlag jedesmal verdient, für mehr als je eine Produktion reichen aber weder die Mittel des feXm, noch die Kapazitäten der beteiligten Theater.
Schneller und intensiver mussten sich die Juror:innen in diesem Jahr an die Auswertung eingegangener Projektvorschläge machen. In einer ganzen Reihe von ihnen spiegelt sich diesmal der aktuelle Diskurs um Diversität und Machtverteilung im Theater. In größtenteils neuer Besetzung (→ s. Seite Jury) hat via Zoom gestern die erste Jurysitzung stattgefunden. Fünf Projekte schafften es unter die Finalisten.
Tua Helve schreibt:
»Nachdem wir gerade unsere letzte Obsessions-Probezeit Mitte Mai beendet haben, wollte ich diesen Blogeintrag der Zeit widmen. Zeit – Überfluss und Mangel daran!
Bei der Aufführungspraxis geht es jedoch nicht nur um Zeit, sondern auch und vor allem um Zeit im Verhältnis zu dem, was um sie herum, mit ihr, geschieht. In Paul Allains Vorwort zu »The Art of Rehearsal. Conversations with Contemporary Theatre Makers« (2017, herausgegeben von Barbara Simonsen) ist das Wort »time« mit den zwei anderen Woten »team« und »trust« verwoben. Diese »drei T« werden von den interviewten Theatermachern als »fundamental« bezeichnet. Diese drei »T« – Zeit, Team und Vertrauen – sind auch der Arbeitsweise von Oblivia immanent.
Als ich noch einmal darüber nachdachte, wurde mir klar, dass Vertrauen für mich die Zeit und das Team einschließt; das Team lässt Vertrauen entstehen; das Team muss der Zeit vertrauen. Um dies zu beleuchten, die »Grundlagen« der Arbeit mit Oblivia, wählte ich Schnappschüsse aus dem laufenden Prozess von Obsessions:
Schnappschuss 1: Vertrauen – Punkte auf dem Papier werden zu einer Performance – siehe die Zeichnung oben.
Schnappschuss 2: Zeit – zum Herumalbern (und) um ernsthaftes Material zu schaffen – Annika und Timo bei Eskus.«
Schnappschuss 3. Team – immer mit an Bord – Annika im Chat mit Meri (Brüssel), Alice (Düsseldorf) und Yiran (Stuttgart/Berlin) via Zoom, Anski bei der Vorbereitung der Aufnahme der Proben.«
Annika Tudeer schreibt:
»Verschiedene Arten des Schreibens. Jede Menge Schreiben. Schreiben als Teil des wachsenden Verständnisses dessen, womit wir es zu tun haben. Hier sind einige Beispiele. Die berühmten Listen an der Wand in der Phase des Materialsammelns, aber auch einige kompliziertere zugrunde liegende Texte.
Im Prozess der ›Obsessions‹ haben wir neue Seiten aneinander gesehen. Tua Helve entpuppt sich als der Dichter im ›on the spot‹-Prozess des Schreibens, den wir zusammen durchlaufen haben.«
Tua Helve
Obsessions haikus and tankas
My obsessions linger between
exhaustion and
how did they say it
Luke-warm intensely nothing
Inconvenience in a lame way
Show myself in a
new font round but light
Read me this way as I feel
Why does it become
so pathetic so easily so
Why where is the joy the strength
the busy prickliness and breeze
Tease out the marvel and bow
Obsession I pity you
you bore me we travel and die
unpack iron clean and go
Exercise, excel
ex All obsessions marching by
Change me if you can
Cherry-cake fake flight
quiver in the springy fresh air
Fair enough, faint away
Do your trick and don’t come back
Rain down now, then dance
Passion Fashion Wine Sex Lust
Looks Appearances Flashy Mag Girl
Never stop More Always More
Doesn’t go further why so Stop
Must be broken the system sucks
Länger noch wird um die Weiterentwicklung von „Kitesh“ alles still stehen. Unentwegt geht es um das Projekt »Obsessions« in Helsinki dabei schon zur Sache . Heute veröffentlicht Alice Flerl auf Oblivias Webseite den ersten Eintrag ins neue »Produktions-Tagebuch«:
»Von unserer ersten Online-Probenzeit Anfang Dezember 2020. Da zu dieser Zeit keine Reisen oder Treffen möglich waren, arbeiteten die meisten von uns von zu Hause aus, einige waren manchmal im Studio. Jeder von uns hat sich an jedem Tag eine Aufgabe für die anderen ausgedacht, die wir am nächsten Tag gemeinsam bearbeiten würden.«
Aufgabe:
Antworten (von Meri):
»Materialien wie diese«, schreibt Alice, »wurden bei der nächsten Online-Probe im Januar 2021 zur Weiterentwicklung genutzt: zur Erstellung von Klängen, Bewegungen, Ideen für Bühnenbild und Kostüm.«
Yves-Klein-Himmel über dem MiR (© MiR Pedro-Malinowski_Quadrat)
Zwei Häuser zunächst – ein drittes mag sich im kommenden Jahr dann anschließen – sind in der Spielzeit 22/23 an NOperas! beteiligt. Zum Theater Bremen, das dabei in die Planung seiner vierten NOperas!-Produktion geht, tritt das Gelsenkichener Musiktheater im Revier. Es ist ein sehr guter Bekannter. 2006 realisierte der feXm mit ihm Lucia Ronchettis »Der Sonne entgegen«, 2017/18 dann das fünfteilige Projekt »ingolf« von Daniel Kötter und Hannes Seidl. »ingolf #3«, in dem es keine anderen Akteure:innen als die Besucher:innen selbst gab, tourte später durch mehrere freie Spielstätten Deutschlands und findet sich immer noch hier auf Youtube.
Überall herrscht Produktionsstau. »Kitesh« musste in Bremen auf die folgende Spielzeit verschoben werden, in der auch »Obsessions« dort zur Premiere kommen soll. Länger haben wir diskutiert, ob NOperas! in dieser Situation überhaupt eine neue Ausschreibung starten soll, bevor alles Aufgeschobene abgearbeitet ist. Die freie Musiktheaterszene aber hat zwei harte Jahre hinter sich. Wenn endlich wieder gespielt wird, muss sie sich neu konsolidieren. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn ausgerechnet in diesem Moment das einzige Förderprogramm, das für sie existiert, für ein Jahr aussetzte.
War das in diesem Jahr nun eigentlich illegal? (© Roland Quitt)
Corona, soviel erscheint klar, wird uns noch länger in Atem halten. Mit unsicheren Schritten tappt auch der feXm dabei voran ins Jahr Einundzwanzig.
Nachdem auf fast jede erzwungene Verschiebung bislang eine weitere gefolgt ist, fahren fast alle Bühnen nur noch auf Sicht und planen kaum weiter als für die kommenden Tage.
NOperas! muss damit leben – im Januar sollte es eigentlich hochhergehen, Hauen & Stechen und Oblivia wären in Wuppertal aufeinander getroffen. Verschoben aber nun Endproben der einen und erste Workshops der anderen.
Wie wird das Musiktheater aussehen, wenn wir wann auch immer dann wieder Land sehen? Um das Publikum seiner neuen Fixierung auf Netflix zu entwöhnen, wird es Traviatas und Zauberflöten rauf und runter wohl geben. Noch immer trotzdem auch ein paar mutige Experimente?
Das Jahr 2020 hat das Musiktheater auf unvorhergesehene Wege geführt. Viele mündeten im Digitalen, darunter auch die von »Chaosmos«. Nach seiner Premiere auf Nachtkritik ist »Chaosmos – der Film« immer noch hier auf unserer Webseite zu finden. Aufgeteilt auf eine Reihe einzelner Clips, beinhaltet diese filmische Version für jede*n die Möglichkeit, sich eine eigene Fassung zusammenzustellen. Sie ist damit nur eins der vielen derzeitigen Beispiele dafür, wie das Prinzip des Interaktiven, das aus digitalen Medien in den letzten Jahren zunehmend ins Theater eingeflossen ist, nun von Theatermacher*innen gestaltet auf neuen Wegen ins Digitale zurückkehrt.
Ist es die Not geschlossener Spielstätten, die Theatermacher*innen im vergangenen Jahr in den digitalen Raum geführt hat, so plädiert Christian Esch in einem lesenswerten Artikel dafür, dies nicht allein als erzwungenen Rückzug, sondern mit auch als Chance eines neuen Theaters zu begreifen. Büßt das Theater mit dem Verzicht auf leibliche Kopräsenz von Performer*in und Publikum aber nicht genau das ein, was immer seine Besonderheit unter den Künsten ausgemacht hat, den seltsamen Doppelcharakter eines beständig zwischen Illusion und materiell beglaubigter Realität schimmernden Vexierbildes? Es ist eine Art Twist of Mind, in den Performer und Performerin uns auf der Bühne versetzen, und diesen erzeugen sie nur auf der Bühne. Selbst wo der digitale Raum in Realtime funktioniert, die seltsame Doppelrealität des Theaters kann er niemals generieren, weil ihm der materielle Widerpart fehlt, der seine Illusion erdet und konterkariert, um in ein Spiel mit der Infragestellung festgefügter Realitätsauffassungen zu führen. Das »Jetzt« lässt sich vom »Hier« ohne Verlust also nicht absondern. Diese Doppelrealität ist es auch, aus der sich das besondere utopische Potential der Theaterkunst ergibt – ein Ineins und gleichzeitig eine Spannung und Diskrepanz unserer beglaubigten und möglichen weiteren Welten.
Zauberflöte und Traviata dabei hin oder her, es steht zu erwarten, dass auch das Publikum das alles immer noch erfühlt, und dass es uns also zuletzt folgen wird (eher zu unrecht macht sich mancher hierüber Sorgen) bei der Rückkehr in die Spielstätten. Dass die digitale Erfahrung das Theater aber verändert haben wird, daran kann kaum Zweifel bestehen. Kaum wird dies eine Rückkehr sein zum Status Quo ante.